Kulturknappheit wird Programm

Statt endlich ORB und SFB zusammenzulegen, üben sich Intendanten und Medienpolitiker in provinzieller Borniertheit

Wie soll ein Kulturradio für Berlin und Brandenburg im Jahr 2001 aussehen? Was könnte, müsste eine Kulturwelle für die Hauptstadtregion leisten? Welchen Stellenwert sollte Radiokultur in der ARD überhaupt haben? Solche Fragen stellt sich in der Führungsriege des Hauptstadtsenders Freies Berlin (SFB) schon lange niemand mehr.

Stattdessen prägen Mangelverwaltung und Programmgefeilsche das Bild, und ganz unter diesem Zeichen steht auch das neue Konzept der Hörfunkdirektion, über das der SFB-Programmausschuss heute entscheidet. In der Stadt, deren bedeutendster Standortvorteil die vielfältige Kulturlandschaft ist, soll die Sendezeit für Kulturelles drastisch reduziert und das Gros des Programms auch noch vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) übernommen werden. Darauf läuft zumindest das Verhandlungsergebnis der Hörfunkdirektoren von SFB, Ostdeutschem Rundfunk Brandenburg (ORB) und NDR hinaus. Stimmt der Programmausschuss des SFB dem Konzept heute zu, gibt es ab 2001 in Berlin und Brandenburg nur noch ein gemeinsames Kulturradio der drei ARD-Anstalten. Kritiker verspotten es bereits als „Klassikdampfer“. Ersetzt würden so das anspruchsvolle „radio kultur“ (SFB/ORB) und das eher klassisch ausgerichtete „Radio 3“ von SFB, ORB und NDR.

Entpolitisierungsstopp

Das gesteht mittlerweile jeder der Beteiligten ein. Doch mit der von den Direktoren geplanten Konsequenz ist kaum jemand zufrieden. Quer durch die Parteien haben die meisten Gremienmitglieder die geplante Reduzierung monatelang abgelehnt und einige Erfolge erzielt: Die morgendliche „Prime-time“ des Gemeinschaftskulturradios soll von ORB und SFB gestaltet werden, nur am Nachmittag und abends darf der NDR ran. Außerdem haben die Intendanten auf die scharf kritisierte „Entpolitisierung“ der Welle reagiert und einigen politischen Sendungen wieder mehr Platz eingeräumt.

Nico Sander, SPD-Mitglied im Programmausschuss, ist schon weich geklopft: „Ich werde schweren Herzens doch zustimmen.“ Für nach wie vor „zu altbacken, bildungsbürgerlich und nicht wirklich zukunftsfähig“ lehnt dagegen der bündnisgrüne Jochen Esser das Konzept ab.

Bei allen Gegensätzen sind sich die Mitglieder des Programmausschusses eines weiteren Dilemmas bewusst: Wenn sie das Konzept weiterhin ablehnen und sich im Anschluss auch der Rundfunkrat am Montag für ein eigenes Kulturprogramm des SFB entscheidet, kann von der oft gelobten Hörfunkkooperation von ORB und SFB endgültig keine Rede mehr sein. Von den fünf gemeinschaftlich betriebenen Programmen bliebe dann nur noch die Jugendwelle „Fritz“ übrig. Aus dem erfolgreichen Nachrichtensender „InfoRadio“ hat sich der ORB schon verabschiedet, im Gegenzug erwägt der SFB den Ausstieg aus der Pop- und Rockwelle „RadioEins“.

Fusion muss kommen

Im Radiohimmel über Berlin und Brandenburg ist langfristig nur eine Fusion der beiden relativ kleinen ARD-Anstalten sinnvoll, damit sie ihre Stärken bündeln können und sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Das erklären zwar auch die Medienpolitiker gern und oft, doch gleichzeitig driften die Anstalten durch engstirnigen Lokalpatriotismus und provinzielle Borniertheit immer weiter auseinander.

Hinter vorgehaltener Hand werfen die Radiomacher ihren Chefs außerdem Desinteresse am Hörfunk und am Kulturprogramm vor: Als ehemalige Fernsehmenschen hat die Flimmerkiste für die Intendanten eben klar Priorität. SILVIA LANGE