Kirche im Schatten des Genozids

In Ruanda sollte gestern ein Völkermordprozess gegen den katholischen Bischof Misago zu Ende gehen. Die katholische Kirche im Afrika der Großen Seen hat ihre Mitverantwortung für den ruandischen Völkermord von 1994 nie verarbeitet

von DOMINIC JOHNSON

„Die Missionen in Ruanda sind wie mittelalterliche Klöster“, schreibt der Missionar Guy Theunis in einer Studie zur Rolle der Katholiken im ruandischen Völkermord, „richtige Dörfer, wo um die Kirche und das Gemeindehaus herum Grund- und Oberschulen versammelt sind, Gesundheitszentren, Katechismuszentren, soziale Treffpunkte, alles von Priestern und Kirchenmitarbeitern geleitet ... Politisch kann man sagen, dass es in Ruanda oft eine Allianz zwischen Kirche und Staat gegeben hat, ein Zusammenwirken von Säbel und Weihrauchfass.“

Im April 1994 wurde diese Allianz zum Motor des Genozids. Die organisierten Massaker an 800.000 Menschen in Ruanda, zumeist Angehörige der Tutsi-Minderheit, durch Milizen unter Anleitung radikaler Hutu-Politiker und Militärs fanden vielerorts, vor allem auf dem Land, in Missionsgeländen statt. Dort suchten verfolgte Tutsi Schutz. Aber fast überall ließen die Kirchenverantwortlichen zu, dass Milizen in die Missionen eindrangen und die Tutsi abschlachteten. Manche ermutigten die Mörder und nahmen an den Planungstreffen teil. Einzelne Priester nahmen selbst die Machete in die Hand.

Während der drei Monate des Genozids fand die katholische Kirche Ruandas als Institution zu keiner klaren Stellungnahme gegen den Völkermord. Viele zutiefst religiöse Hutu sahen im Töten eine spirituelle Pflicht. Ein berüchtigter Aufruf von Extremisten an Ruandas Hutu, die Tutsi zu hassen, wurde als „Zehn Gebote“ verbreitet und damit von vielen als gottesbefohlen angesehen. Die Kirche distanzierte sich davon nicht. Dazu waren die meisten führenden Bischöfe den führenden Politikern viel zu freundschaftlich verbunden.

Als einzige christliche Kirche hat sich die katholische Kirche bis heute nicht für ihr Versagen während des Völkermordes entschuldigt. Eine Selbstkritik müsste auch einige düstere Episoden außerhalb Ruandas umfassen. Zum Beispiel floh der nach Angaben von Menschenrechtsgruppen direkt an der Planung von Massakern beteiligte Priester Athanase Seromba nach Italien und arbeitet heute unter falschem Namen am Erzbistum von Florenz.

In Ruanda selbst endete die „Allianz zwischen Säbel und Weihrauchfass“ mit dem Zusammenbruch des Völkermordregimes im Juli 1994, als die Tutsi-dominierte Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) die Macht ergriff und gleich zu Beginn die führenden Bischöfe Ruandas umbrachte. Seitdem lautete die Devise: Die Kirche spricht nicht über sich, und niemand soll über die Kirche sprechen.

Die Verhaftung von Augustin Misago, dem ehemaligen Bischof von Gikongoro, im April 1999 signalisierte, dass der Staat die Kirche nicht mehr in Ruhe lassen würde. Mit Misago landete zum ersten Mal ein Mitglied der katholischen Kirchenführung in einem ruandischen Gefängnis. Zumindest seitens des Vatikans ist es seither mit dem gegenseitigen Anschweigen vorbei: Rom besorgt die Verteidigung des Angeklagten, der Papst versicherte dem „geliebten Pastor“ mehrmals seine Solidarität.

Aber auch unmittelbar vor der Urteilsverkündung gegen Misago, die für gestern erwartet wurde, blieb die Kritik diskret. „Es gibt einen gewissen Hass gegen die Kirche in Ruanda“, analysiert ein Beobachter des Misago-Prozesses. „Es ist den Leuten egal, was die Kirche sagt, aber man kennt ihre Macht. Die Kirche ist eine gefährliche Sache in diesem Land.“ Insgesamt sind über 20 Priester und Nonnen in Ruanda der Beteiligung am Völkermord angeklagt worden; zwei Priester wurden bereits zum Tode verurteilt. Letztes Wochenende wurde im Südwesten Ruandas ein spanischer Priester ermordet, der seit 1963 dort gelebt hatte.

Die Spannungen ergeben sich auch daraus, dass die katholische Kirche und der ruandische Staat heute die beiden mächtigsten grenzüberschreitenden Institutionen in der Region sind. So darf in Bukavu im ruandisch kontrollierten Osten des benachbarten Kongo der örtliche Bischof Emmanuel Kataliko seine Diözese seit Januar nicht mehr betreten, weil er angeblich zum ethnischen Hass aufgerufen hat. Dies hat vor Ort und im Vatikan Protest ausgelöst.

Doch in katholischen Kirchen dieser Region Kongos wird nach Angaben von Menschenrechtsgruppen bis heute zuweilen gegen die Tutsi gepredigt. Ein neuer Protestbrief der „Katholischen Christlichen Intellektuellen Bukavus“ an die UNO spricht dieses Problem an, aber umgeht es zugleich: „Die Kirche und unsere Pastoren predigen die Wahrheit. Ist das ein Aufruf zum Völkermord?“ Dann wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, „den Kampf gegen das Böse fortzusetzen“. Genau solche zweideutigen Formulierungen, mit denen bereits 1994 in Ruanda jeder Gläubige sein eigenes verbrecherisches Handeln rechtfertigen konnte, tragen dazu bei, dass über der katholischen Kirche im Afrika der Großen Seen bis heute ein Schatten hängt.