„Es gibt nur diesen Ausstieg oder keinen“

Umweltminister Jürgen Trittin verteidigt die Einigung gegen ihre Kritiker: Der Kompromiss sei „in der Sache gut vertretbar“

taz: Konnten Sie nach diesem Verhandlungsergebnis gut schlafen?

Jürgen Trittin: Ich habe mich nach der Verhandlung eine Stunde mit einigen meiner Mitarbeiter im Umweltministerium beraten. Danach konnte ich in der Tat gut schlafen.

Sie sind also zufrieden?

Es handelt sich um einen für die Partei sehr schwierigen Kompromiss, der aber in der Sache gut vertretbar ist. Erstmals verabschiedet sich eines der führenden Industrieländer aus einer Technologie. Bislang unbefristete Betriebsgenehmigungen werden befristet. Wir erreichen – wenn auch nicht so schnell, wie nach der reinen Lehre vom Sofortausstieg – ein Verbot der Wiederaufarbeitung. Wir unterbrechen die Erkundung in Gorleben, so dass nicht weiter Fakten für ein Endlager geschaffen werden. Und wir kommen zu einer deutlichen Reduzierung von Transporten. Die Sicherheitsstandards werden nicht abgesenkt. Im Gegenteil: Erstmals werden wir im Gesetz eine Sicherheitsüberprüfung alle zehn Jahre festschreiben. Die technischen Sicherheitskriterien werden laut Vereinbarung fortgeschrieben. Das alles ist abzuwägen gegen das Argument, es könnte noch schneller mit dem Ausstieg gehen.

Viele Grüne haben tatsächlich mehr erwartet.

Dieser Ausstieg ist im internationalen Vergleich ohne Beispiel: In den USA wurden gerade Betriebsgenehmigungen von 40 auf 60 Jahre verlängert. Unsere schwedischen Nachbarn zahlen für eine Befristung auf 40 Jahre noch Entschädigung. In Belgien machen sie 40 Jahre ohne Entschädigung, und wir haben nun 32 Jahre ohne Entschädigung.

Bis 2006 kommen voraussichtlich bloß drei Meiler vom Netz. Müssen wir also noch zweimal Rot-Grün wählen, um den Ausstieg so richtig in Gang zu bringen?

Ich hoffe, Grün wird noch häufiger gewählt als nur zweimal! Aber natürlich birgt der Satz, den die Energieversorger unterschrieben haben – „Wir akzeptieren den Primat der Politik“ – eine tiefe Wahrheit. Ob aber die Industrie unter einer anderen politischen Mehrheit in neue AKW investieren würde, bezweifle ich.

Der Ausstieg ist also, anders als im Koalitionsvertrag festgeschrieben – umkehrbar.

In einer Demokratie ist alles umkehrbar, nur nicht die atomare Erblast des Atomeinstiegs. Die Rahmenbedingungen sind aber heute schon so, dass der Wiedereinstieg mit neuen AKW nur möglich wäre, wenn Frau Merkel und Herr Stoiber ihn aus Steuergeldern finanzieren würden.

Haben Sie sich ein solches Ergebnis vorgestellt, als Sie als Umweltminister anfingen?

Am Anfang stellt man sich vieles viel einfacher vor. Ich habe gelernt: die Konfliktfähigkeit der beiden Koalitionsparteien darf man nicht zu hoch einschätzen. Der erste Versuch, das Atomgesetz zu ändern, ist im Kern daran gescheitert, dass die Industrie mit dem Ende des Bündnisses für Arbeit gedroht hat und auf der anderen Seite die ÖTV mit Arbeitskämpfen der Belegschaften. Dass das für die SPD kaum auszuhalten war, war eine Erfahrung, die ich machen musste und die auch den Sozialdemokraten beim Unterzeichnen der Koalitionsvereinbarung wohl in dieser Schärfe nicht klar war.

Überstrapaziert das Ergebnis nun die Konfliktfähigkeit der grünen Partei?

Der Atomausstieg ist ein Erfolg der Bundesregierung, den es ohne die Beteiligung der Grünen nicht geben würde. Es gibt nur diesen Ausstieg oder keinen. Das sollte sich jeder klarmachen, bevor er das Ergebnis ablehnt. Interview: MATTHIAS URBACH