Frauen ihres Lebens

Das „Drei Affen“ ist einmal in der Woche der wichtigste Platz der Moskauer Lesbenszene

von BARBARA KERNECK

Es ist acht Uhr abends an einem Moskauer Sommersonnabend. Vor dem Klub „Drei Affen“ unweit des Flüsschens Jausa in der Moskauer Innenstadt stehen eine ganze Menge Frauen herum. Für den russischen Blick unterscheiden sich die hier Versammelten von anderen Nachtklubbesucherinnen: Sie sind zu wenig aufgedonnert.

Eigentlich ist dies ein Lokal für Schwule. Vier weitere Etablissements in Moskau leisten sich einmal in der Woche ein Programm für Frauen, aber sommers pausieren sie mit diesem Angebot. Innen gibt es eine Tanzfläche, ein Restaurant und einen Billardraum. Das Interieur ist spartanisch. Schon so früh am Abend drängen sich hier an die 150 Besucherinnen.

An einem runden Tisch im Restaurant residiert Jewgenija Debrjanskaja, eine zerbrechliche Dame in den Vierzigern mit silbrigem Igelköpfchen. Sie ist die Mutter der Moskauer Homobewegung und zweier leibhaftiger Söhne. Vor fünf Jahren war sie Vorsitzende der Lesben- und Schwulenorganisation „Dreieck“. Die bekam Gelder vom Europarat, die kurz darauf versiegten.

Heute gibt es keine Organisation und kein Büro. „In Moskau und Petersburg brauchen wir das auch nicht mehr“, sagt Jewgenija, „hier sind wir ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft. Aber in der Provinz sieht’s noch schlimm aus. Da treffen sich unsere Jungs und Mädels fast nur in Privatwohnungen.“

Inzwischen hat Jewgenija zu schreiben begonnen, ein Roman und ein autobiografisches Buch sind schon auf dem Markt. Aber davon können sich in Russland nur weltbekannte AutorInnen ernähren. Und wovon lebt Moskaus Oberlesbe? „Unter anderem bezahlen die hier mich dafür, dass ich als Kultfigur so eine Art Wirtin spiele“, verrät sie. Folglich meint sie auch, der Klub „Drei Affen“ reiche für den Moskauer Lesbenbedarf völlig aus.

Die Moskauer Klubkultur ist stark von der Jugend geprägt. Für die ältere Generation gehört der Besuch solcher Lokale nicht zu den Lebensgewohnheiten. Hier und heute fällt dies besonders auf. Neben dem Billardtisch sitzt die neunzehnjährige Tanja aus dem kleinen, südlich von Moskau gelegenen Städtchen Wladimir. „Ich treib’s eigentlich ganz gern mit Männern und liebe nur eine einzige Frau“: Mit diesem Satz entschuldigt sie sich dafür, zum ersten Male ein Lesbenlokal zu besuchen. Was sie da sieht, gefällt ihr ganz und gar nicht: „Von einem solchen Klub hätte ich mir ein bisschen mehr Luxus erwartet. Na, und dann könnten sich die Leute hier ruhig effektvoller kleiden.“

Offensichtlich hat sich Tanja eine Hockernachbarin gesucht, auf die dieser Vorwurf am allerwenigsten zutrifft, die siebenundzwanzigjährige Schanna. Die grelle Blondine, die sich als hundertprozentige Lesbe von Jugend an bezeichnet, besticht hier weit und breit durch das nuttigste Outfit: die Haare hochgetürmt, die grünen Augen scharf umrandet, dazu tiefer Ausschnitt und Shorts, aus denen stramme Schenkel in Glitzerstrumpfhosen lugen.

Auch Schanna ist aus der Provinz, aus dem südrussischen Krasnodar. Dort wisse sie von der Existenz mindestens zweier solcher Klubs, versichert sie. Aber bei ihrer Arbeit als Psychotherapeutin könne sie es sich nicht leisten, sich in ihnen blicken zu lassen. In Zukunft möchte sie öfter herherkommen. Schanna leidet nämlich unter Torschlusspanik: „Es ist Zeit für mich, die Frau meines Lebens zu finden.“ Glücklicherweise betrachtet sie den Klub nicht als einzige Chance: „Ich weiss, dass Gott mich liebt und dass er mir eine Frau geben wird. In was für einer Art von Einrichtung das passiert, das wird er schon für mich aussuchen.“

Eine Billardspielerin bittet uns weiter zu rücken. Der Ton ist hier sehr höflich. „Das ist von allen Moskauer Lokalen mit Lesbenabenden der Klub mit der strengsten Gesichtskontrolle. Teenager unter achtzehn oder Drogensüchtige brauchen sich hier nicht blicken zu lassen. Wer sich drinnen bekifft, fliegt auf die Straße und kommt nie wieder rein“, erklärt die 29-jährige Katja im Restaurant. Die gesetzt wirkende junge Frau ist Managerin in einer Reklameagentur. Auf ihrer Arbeitsstelle, meint sie, wüssten wohl die meisten über ihre sexuelle Orientierung Bescheid: „Ich verstecke es nicht und streiche es auch nicht besonders heraus. Die Zeiten, in denen die Leute glaubten, eine Lesbe mache sich an jede andere Frau heran, sind doch vorbei.“

Die meisten Moskauer Lesben sind allerdings vorsichtiger als Katja. Die Fälle, in denen solchen Frauen unter irgendeinem Vorwand gekündigt wird, sind noch zu zahlreich. An einem Tisch mit uns sitzt auch die 26-jährige Lena mit ihrer Partnerin. Lena ist eine Frau mit blitzgescheiten Hummelaugen und hat bereits eine eigene Anwaltsfirma. Die 38-jährige Ljusja ist ihre Mitarbeiterin, verheiratet und Mutter eines dreizehnjährigen Sohnes. Auf die Frage, was sie täte, falls ihr Sohn von ihrem Besuch in diesem Lokals erführe, antwortet sie: „Davor behüt mich Gott!“

Ljusja verströmt die Aura einer Tante aus der Waschmittelwerbung. Sie führt von allen hier das ausgefeilteste Doppelleben. Für diese Frau ist der Klub der einzige Ort, an dem sie ihr wahres Selbst zeigen kann. Für Jungmanagerin Katja sind ihre Klubbesuche kein Muss: „Meine Lebenspartnerin ist siebzehn Jahre älter als ich und Mutter zweier Kinder. Sie mag keine Menschenansammlungen, die trendy sind.“

Katja kommt gelegentlich allein in die „Drei Affen“, um unter ihresgleichen zu sein. Das einzige, was sie hier stört: Dass für Frauen nur ein einziges, wenn auch sauberes Toilettenkabinchen zur Verfügung steht. Als ich ihr berichte, dass auf die neunzehnjährige Tanja alles hier „billig“ wirke, lacht sie: „Da werfen Sie doch mal einen Blick auf die Speisekarte!“ Tatsächlich kostet eine Flasche Affentaler Riesling sechzig Mark, wofür eine MoskauerIn durchschnittlich vier Tage arbeiten muss.

Um zehn Uhr beginnt das Programm auf der Bühne. „Heute blas ich nur das Mikrophon!“, ruft die Moderatorin, „aus einem ganz besonderen Anlass: Jewgenija Debrjanskaja hat Geburtstag! Jewgenija, wir lieben dich! Du hast eine große Zukunft, weil du eine große Vergangenheit hast.“

Homosexualität war für die russische Öffentlichkeit bis vor kurzem noch tabu. Lesben gegenüber legte die Bevölkerung eine herablassende Duldsamkeit an den Tag. Geschlechtsverkehr zwischen Männern dagegen wurde mit drei bis acht Jahren Gefängnis oder Lagerhaft bestraft.

Präsident Boris Jelzin erklärte 1993 dieses Gesetz durch einen Ukas für ungültig. Plötzlich hatten die Schwulen in der russischen Gesellschaft auch ein Recht auf Leben. Doch viele von ihnen erfuhren es nicht gleich. Damals arbeiteten Jewgenija und ihre MitstreiterInnen fieberhaft, um jeden schwulen Häftling aus dem Lager zu holen. Denn ein dort verbrachter Monat mehr konnte für jeden von ihnen den Tod bedeuten . Die Homosexuellen bildeten die unterste Stufe der Gefangenenhierarchie. Oft erlaubten ihnen ihre Mithäftlinge nicht einmal, auf einer Pritsche zu schlafen. Sie wurden regelmäßig von anderen Gefangenen vergewaltigt und mussten sich mit deren Essensresten begnügen. Als der Ukas schließlich vorlag, erklärte Jewgenija : „Dies ist der Anfang vom Ende der Angst!“

Die Sängerinnen und Transvestiten geben heute in den „Drei Affen“ ihr Bestes. Der Jubel der Mädchen ist groß. Noch immer sind sie überrascht, als Lesben leben zu dürfen. „Ich bin einmal in einem Lesbenlokal in Prag gewesen“, erzählt Lena: „Das hat mir nicht gefallen. Hier sprechen alle mit allen. Dort saßen lauter isolierte Grüppchen. Bei uns Moskauer Lesben geht’s irgendwie herzlicher zu.“ Um elf Uhr bittet man uns, den Tisch zu räumen, für die anrückenden Männer. Dabei springt der Eintrittspreis pro Frau nach elf von umgerechnet fünf auf dreizehn Mark.

Die russischen Schwulen und Lesben haben die letzten zehn Jahre einen langen Weg einträchtig zurückgelegt. Aber die unterschiedliche ökonomische Situation von Männern und Frauen wirkt sich auch hier aus. Männer zahlen in diesem Klub null Eintritt – weil sie es sich leisten können, viel mehr zu konsumieren. Meine Nachbarinnen murren nicht. Außer der unglücklichen Ljusja sind sie mit den Realitäten ihres Leben nicht unzufrieden.

BARBARA KERNECK, 52, lebt und arbeitet seit 1989 in Moskau, u. a. schreibt sie für die taz