Die Psychose als Futter fürs Leben

In der Spur des japanischen Butoh: Die Tanzgruppe Loplop mit „Der Frühling denkt an Frau Yayoi . . .“ im Orphtheater

Die beiden Tänzerinnen grüßen den Frühling. In weißen Kleidchen mit roten Tupfern stehen sie x-beinig im Raum und hüpfen fröhlich umher, schießen Kabolze, rudern mit den Armen, schneiden Grimassen. Während ihre weiß gepuderten Körper sich nach und nach den Raum erobern, ihn durchwinden, durchzucken und durchkreisen, läuft elektronische Musik. Im Hintergrund zeigt ein Video schleimige Fischwürmer, die sich zu einem riesigen Einzelwesen mit schlingernden Gliedmaßen zusammenfügen.

Es ist Butoh-Zeit in Berlin: Der „Modern Dance“ Japans, in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in Abgrenzug zur starren Tradition entwickelt, gewinnt auch hierzulande an Präsenz. Seit Jahren experimentiert die Berliner Off-Tanzgruppe „loplop“ mit den Möglichkeiten tänzerischen Ausdrucks in der Spur des japanischen Butoh, und so hat sie ihrem aktuellen Stück im Orphtheater auch den verheißungsvollen Titel „Haru Yayoi chan kou . . . und schert ihr Rosenbärtlein ab“ gegeben.

Die ersten Wörter des Namens sind Japanisch und bedeuten „der Frühling denkt an Frau Yayoi“, der zweite Namensteil zitiert Unica Zürn. Yayoi Kusama und Unica Zürn sind Künstlerinnen, die eine, Japanerin, zeichnet und installiert Objekte. Die andere, Deutsche, dichtet und malt. Und beide sind psychisch krank. Dieser Umstand inspirierte Yuko Kaseki, ihr Stück in der gedanklichen und ästhetischen Spannung zwischen mentaler Störung und Kreativität zu choreografieren. Kaseki geht dabei von geistiger Krankheit als „Nährboden der Schöpfung“ aus und versucht, diese Prämisse szenisch umzusetzen.

Sie tanzt mit ihrer Partnerin Machiko Yamashita ein verstörendes Fragment, das die Vorstellung des Individuums als etwas mit sich selbst Identisches hinterfragt. Es scheint, als wären beide Tänzerinnen nicht voneinander getrennte Wesen, sondern lediglich verschiedene Aspekte ein und derselben Person. Die „Person“ erlebt die äußere Umgebung, den Raum, als Bild ihrer inneren Landschaft, in dem sie ihre realen Gedanken und Stimmungen erlebt: Freude, Angst, Trauer, Gier. Auf der Bühne wird keine Geschichte erzählt, die Duplikation einer unteilbar angenommenen Identität wird hier in harten Wechseln erprobt. So verschwindet die anfängliche Fröhlichkeit schnell von der Bühne, die Situation kippt ins Bedrohliche.

Eine Frau tritt hervor, mit riesigem Bauch, aus dem Reis hinabströmt. Die eine reißt ihr Kleid auf, will ihren Körper retten und den verschütteten Reis Korn um Korn aufsammeln, die andere badet im Reis. Das Licht fällt auf die Rücken der Tänzerinnen und zeigt glitzernden Schweiß.

JANA SITTNICK

„Haru Yayoi chan kou . . . und schert ihr Rosenbärtlein ab“: Heute und morgen, 21 Uhr, Orphtheater, Ackerstraße 169/170, Mitte