„Ein Bock alleine stößt nicht“

Im beschaulichen Steglitz bekriegen sich seit zwei Jahren ein einfach gestricktes Hauswartsehepaar und ein langjähriger Mieter, der etwas skurril ist, vor Gericht. Nun droht dem Mieter, der vorher „introvertiert“ vor sich hin lebte, die Kündigung

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Es ist kein Aprilscherz. Leider. Am 1. April 1998 trat in einem Mietshaus in der Kniephofstraße in Steglitz ein neues Hausmeisterehepaar seinen Job an. Seitdem ist es in dem 1968 erbauten Haus aus mit der Ruhe. Sabine und Michael K., äußerst einfach gestrickte Leute von Mitte 30, haben von ihrem Parterrebalkon auf der anderen Straßenseite „ihr“ Objekt mit den 26 Wohnungen rund um die Uhr fest im Blick. Besonders auf dem Kieker haben sie Bernd Schumacher, einen Mieter, der seit 25 Jahren in einem 24-Quadratmeter-Apartment „introvertiert vor sich hin lebt“, wie er sagt.

Auf der zuständigen Polizeidirektion hat sich ein dicker Stapel Anzeigen wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung angehäuft. Richter sind fassungslos angesichts der verhärteten Fronten. Auch der Sozialpsychiatrische Dienst, der eingeschaltet wurde, ist machtlos. Denn es handelt sich nicht um Verrückte, sondern „nur“ um Menschen, die sich gegenseitig für verrückt erklären.

Die Anlässe der Streitigkeiten sind meist nichtig: Es geht um verschwundene Fußabtreter, Beschimpfungen wie „Arschloch“ und „Wichser“, anonyme Telefonanrufe, zerstörte Blumenkübel, aus dem Fenster geworfene Flaschen, abgerissene Klingelschilder und seltsame Geräusche des Nachts im Treppenhaus. Anzeigensteller sind abwechselnd das Hausmeisterehepaar und Schumacher, die sich die Vorwürfe wie Pingpongbälle zuwerfen.

Auslöser der ganzen Streitigkeiten, von denen die meisten vom Gericht bisher eingestellt wurden, war ein Heizungstank, der, wenige Tage nachdem die K.s ihren Job angetreten hatten, zerstört wurde. Jemand hatte Sand hineingetan. Bis heute konnte – wie auch bei anderen Sachbeschädigungen – nicht geklärt werden, wer das war. Doch für Sabine und Michael K. steht fest, dass Schumacher hinter allem steckt, was im Haus passiert. Ihr „Beweis“: „Es kann nur er gewesen sein.“

Von Anbeginn an beschimpfen und beleidigen sie ihn über die Straße hinweg, mit der größten Selbstverständlichkeit duzen sie den 15 Jahre älteren Mann und verbieten ihm Dinge, an denen vorher niemand Anstoß nahm: Klopft er abends seine Bettwäsche auf dem Hof aus, rufen sie die Polizei wegen Ruhestörung, stapelt er in seinem Keller Kästen mit leeren Flaschen, riechen sie Feuer.

Der Grund: Schumacher ist ein Außenseiter. Was die K.s mit ihm treiben, nennt er „Stalking“:eine Form von Verfolgung und Terror durch Fans, unter dem Fernsehstars, Politiker, Schauspieler leiden – oder Unbekannte wie er. Schumacher, gelernter Koch wie sein Widersacher Michael K., hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Vor sieben Jahren hörte er zu arbeiten auf. „Ich bin ein Aussteiger.“ Seitdem lebt er von seinen Ersparnissen. Es ist lange her, dass er sich neue Kleidung gekauft hat. Wäre er dreißig Jahre jünger, hätte er mit seinen Hemden mit den ausgestellten Kragen und den synthetischen Jacketts und Hosen aus den 70ern das perfekte Outfit für Szeneklubs. Aber in seinem Alter wirkt er darin irgendwie von gestern. Bescheidenheit bestimmt auch seine Essgewohnheiten. „Ich esse vorwiegend aus der Büchse“, sagt er. Außerdem sammelt er – „Lachen Sie jetzt nicht!“ – Pfandflaschen, die er in Brandenburg abgibt. „Dort nennt man mich den Plastewessi“, erzählt er und lacht.

Besonders liegt ihm die Natur am Herzen. Sehr zum Missfallen der K.s kümmert er sich seit Jahren im Sommer um die trockenen Straßenbäume. Dann füllt er einen 300-Liter-Container an der Straßenpumpe mit Wasser und gießt sie, „weil es sonst keiner macht“. Während sich vorher niemand daran störte, wachen die K.s von ihrem Balkon aus mit Argusaugen darüber, dass er kein Auto beschädigt.

Muss der Besitzer im Hof einen Ast absägen oder einen Baum fällen, weil er gegen das Mauerwerk drückt, geht Schumacher auf die Barrikaden. Der Grund: „Ich bin für Missstände einfach sensibler als andere.“ Die K.s hingegen finden es schön, abgesägte Baumstämme mit Harz zuzukleistern und Plastikblumentöpfe draufzustellen. Bei einer Hofbesichtigung nähert sich Sabine K. und brüllt Schumacher an: „Du hast da nichts zu suchen!“ Gegenüber der taz erklärt sie: „Mit dem Mann gibt es keine Lösung!“ Dann will sie auch der Presse Vorschriften machen: „Ich habe Vollmachten, Ihnen alles zu verbieten!“, schimpft sie erregt, die Augen treten leicht hervor. Für Schumacher ein klares Indiz „für die Basedowsche Krankheit“, eine Schilddrüsenüberfunktion, für die das Hervortreten der Augen typisch ist. Ihr Mann erklärt vom Balkon herab: „Die einzige Lösung ist, dass Schumacher abhaut. Er ist ein zerstörungswütiger alter Mann.“ Dann zieht er sich zurück. „Ich rufe jetzt den Besitzer an.“ Der Hausbesitzer, der nicht genannt werden will, ist ratlos. Über Schumacher sagt er: „Er ist den Hauswartsleuten intelektuell überlegen.“ Im Gegensatz zu den K.s hat er selbst durchaus Verständnis für den „Außenseiter“: „Seine umweltpolitischen Gedanken sind nicht falsch, aber die Umsetzung.“ Er weiß auch, dass die K.s ihre Arbeit „sehr genau nehmen“: „Das hat Vor- und Nachteile.“ Andererseits klagt er, wie schwer es ist, gute Hauswartsleute zu finden. Er hält es zwar für möglich, dass Schumacher hinter einigen Sachbeschädigungen steckt. Doch: „Ich kann es nicht beweisen.“ Über das Verhältnis zwischen den K.s und Schumacher sagt er: „Ein Bock alleine stößt nicht.“

Zur Untermauerung ihrer These von Schumacher als dem Buhmann im Haus hetzen die K.s andere Mieter gegen ihn auf. So sagte ein Mieter, der auf dem gleichen Gang wie Schumacher wohnt, kürzlich vor Gericht aus – Schumacher musste sich wegen eines Steinwurfs und zerstörter Blumenkästen verantworten –, er wäre von ihm mit einem Schraubenzieher bedroht worden. Wenige Tage zuvor hatte der junge Mann, der sehr labil ist und bis vor kurzem alkoholabhängig war, gegenüber der taz erklärt, von den K.s unter Druck gesetzt zu werden. „Die haben meinen Zustand ausgenutzt und versucht, mir einzureden, Schumacher hätte mich im Keller mit einem Schraubenzieher bedrängt.“ Doch das Gericht glaubte diesem Zeugen ebenso wie der Hauswartsfrau, die behauptet hatte, gesehen zu haben, wie Schumacher einen Stein aus seiner Wohnung warf – obwohl eine andere Frau, an deren Kopf der Stein vorbeiflog, erklärt hatte, dass die Hauswartsfrau dies gar nicht hätte sehen können. Zwei Monate auf Bewährung bekam Schumacher für versuchte schwere Körperverletzung, weitere zwei Monate auf Bewährung wegen zerstörter Blumenkübel. Zeuge dafür war ein Mieter, von dem Schumacher glaubt, dass auch er unter Druck gesetzt wird. Gegen das Urteil hat er Berufung eingelegt. „Ich bin ein alter Kämpfer, müssen Sie wissen“, sagt er.

Ein junger Deutscher türkischer Herkunft, der gegenüber von Schumacher wohnt, bestätigt dessen Überzeugung von einer Kampagne. „Die wollen ihn fertig machen.“ Des Öfteren habe er gesehen, wie Sabine K. den Müll vom Flur vor Schumachers Tür zusammengefegt habe. „Die sind psychisch krank.“ Schumacher hat den Müll „als Beweis“ liegen lassen. Auch das koreanische Musikerehepaar aus dem Erdgeschoss weiß von „großen Problemen“. Obwohl in ihrem Vertrag steht, dass sie mit ihren Cellos bis 22 Uhr musizieren dürfen, und sich bisher kein Mieter beschwert hat, schreiben ihnen die K.s 19 Uhr als Limit vor.

Ein ehemaliger Anzeigenverkaufsleiter vom Axel Springer Verlag, der die Auseinandersetzungen vom Nachbarhaus aus mitbekommen hat: „Die Hauswartsleute sind sehr unsympathisch und picken sich Einzelpersonen heraus, als ob sie das aus Langeweile machen.“ Mehr will er nicht sagen. „Das würde in Beleidigungen ausarten.“

Der Hauswirt Michael K. dagegen nimmt kein Blatt vor den Mund. Als er sich Mitte Mai vor Gericht verantworten musste, weil er Schumacher mit Sand beworfen haben soll, erklärte er: „Andere holen Killerkommandos. Ich mache das nicht. Aber ich kann mir nicht alles gefallen lassen. So weit sind wir noch nicht.“ Unumwunden gab er zu: „Wenn Schumacher raus ist, ist endlich Ruhe.“ Den Sandwurf bestritt er. „Das kann ich mir nicht erlauben als Hauswart.“ Die Richterin, die schon mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, die Kontrahenten im Gerichtssaal zu erleben, fand die richtigen Worte: „Das hört sich an, als sei das Ganze eskaliert, bei Ihnen liegen die Nerven blank, bei Schumacher auch.“ Die Zustände im Haus beschrieb sie „als kaum noch fassbar“. Das Verfahren wurde eingestellt. Der zuständige Kontaktbereichsbeamte, Joachim Licht, bezeichnet die Situation als verfahren. „Als sie Hausmeister wurden, ging das los“, erinnert er sich. Schumacher schildert er als „lieben, friedfertigen Menschen“, der mit Beleidigungen oder Körpverletzungen nichts am Hut habe. „Er tut mir Leid, er hat keinen Fürsprecher.“

Der Hausbesitzer hat mittlerweile Schumacher zum Oktober gekündigt. „Schweren Herzens“, wie er betont. Aber noch hat er nicht die Hoffnung aufgegeben. Sollte sich die Lage entspannen, ist er bereit, die Kündigung zurückzunehmen. Doch die Zeichen für Versöhnung stehen schlecht. Kürzlich wurde ihm zugetragen, dass Schumacher angekündigt haben soll, das Haus in Brand zu setzen, sollte er ausziehen müssen. Schumacher indes will gehört haben, dass der Hauswart ihm Typen auf den Hals hetzen will, um ihm die Arme brechen zu lassen.

Zitate:Die Richterin: „Die Zustände im Haus sind kaum noch fassbar. Die Nerven liegen blank.“ Die Mieter: „Die Hauswartsleute wollen ihn fertig machen. Die sind psychisch krank.“