Der Ball hat keinen Freund

Nachdem sich Türken und Schweden mühten, „das Beste zu geben“ und doch nur die erste Nullnummer dieser EM schafften, steht der unbeteiligte Gewinner Italien als erster Viertelfinalist fest

aus Eindhoven BERND MÜLLENDER

Der türkische Coach Mustafa Denizli gilt als einer, der noch tiefer als seine Kollegen in die Floskelkiste zu greifen vermag. „Wir haben unser Bestes gegeben“, teilte er nach dem 0:0 gegen Schweden mit und versuchte dabei Bedrücktheit durch sein gewohnt charmantes Lächeln zu überspielen. Sein Stegreifsatz, eigentlich nichts sagend, war ausnahmsweise entlarvend: Wenn das das Beste war, wie grauenvoll mag es dann nur eine Stufe darunter aussehen?

Die Phantasie reicht kaum, sich das vorzustellen. Schweden gegen Türkei war 90 Minuten lang ein Festival der Unzulänglichkeiten. Tumbe Fouls, Abspielfehler, Reklamieren, Holzerei, Tölpelei, technisches Niederniveau. Dass noch ein Spieler, Schwedens Fredrik Ljungberg, zum „Player of the match“ gewählt wurde, war purer Zynismus. Der Arme guckte auch ziemlich verdattert ob der provokanten Ehre.

Höhepunkt des Spiels war die 64. Minute: Als einer der schwedischen Brachialverteidiger, Olof Mellberg, einen hohen Ball unfallfrei stoppte, brandete ironischer Beifall auf. Der arme Ball musste erkennen, das niemand sein Freund war. Wer von der Droge Fußball loskommen will, hätte in Eindhoven einen idealen Therapieplatz gefunden: Fußball zum Abgewöhnen.

Beide mussten nach ihren Auftaktniederlagen eigentlich gewinnen, hatte es vorher kühn geheißen. Beide waren davon so weit entfernt wie der Vollmond von Eindhoven. Als zum Ende der Partie beide etwas offensiver wurden, wirkten ihre Bemühungen nur noch hilfloser. Der Schlusspfiff mündete in ein gemeinschaftliches Pfeifkonzert aus allen Kurven.

Was das persönliche Glück des Mustafa Denizli (50) war. Nach dem ersten Spiel, dem 1:2 gegen Italien, war er allein wütend ausgepfiffen und verhöhnt worden. Weil der Scheineloquente nach Ansicht der türkischen Fans vom Trainertum ungefähr so viel Ahnung hat wie ein Zwitter aus Erich Ribbeck und Berti Vogts. Der Hintergrund ist indes banal: Denizli wechselt nach der EM zu Fenerbahce Istanbul, hatte etliche bekannt formschwache Leute seines neuen Clubs auf den Rasen geschickt und die Nationalhelden vom Uefa-Cup-Sieger Galatasaray draußen gelassen.

Trotzig hatte er gesagt: „Wer die Art, wie wir spielen, nicht mag, der muss ja nicht ins Stadion gehen und kann den Fernseher abschalten.“ Er vertraue den Spielern, gab er vor dem Spiel bekannt, „wie meinen Söhnen“ – um die Brut dann doch zu verstoßen: Vier neue Stiefsöhne waren ins Team gerückt, drei davon von Galatasaray. Genutzt hat es den Verstoßenen, die sich am Donnerstagabend nicht mitblamieren brauchten.

Beide haben 0:0 verloren. Kurios, dass beide noch Viertelfinalchancen haben. Die Türken müssten dafür die Belgier schlagen. Die Schweden ihrerseits Italien, den unbeteiligten Gewinner der Eindhovener Nullnummer: Denn die Azzurri stehen als Gruppensieger und erster Viertelfinalist fest. Was Schwedens eiskalte Strategie erahnen lässt: Womöglich spielen die Italiener mit einem Reserveteam oder lustlos Knochen schonend oder beides. Schwedens Coach Lars Lagerbäck orakelte nachher: „Alle Italiener sind gute Spieler.“

Am Montag werden wir wissen, ob die Schweden raffiniert 0:0 gewonnen haben.

Schweden: Hedman - Lucic, Sundgren, Björklund, Mellberg - Alexandersson (63. Anders Andersson), Mild, Mjällby, Ljungberg - Kenneth Andersson (46. Pettersson), Larsson (78. Svensson) Türkei: Rüstü - Ogün (59. Tugay) - Alpay, Fatih - Ümit (45. Tayfun), Suat, Mustafa (58. Sergen), Okan, Hakan Unsal - Hakan Sükur, ArifZuschauer: 30.000