Niedlich 2000

Das süße Antlitz des Kapitalismus: Die japanische Katzenfigur „Hello Kitty“ bringt in Hongkong und Umgebung Mädchen und Jungs um den Verstand

von DANIEL BAX

Hongkong sei die einzige Stadt, in der ein erwachsener Mann eine Frau damit beeindrucken könne, eine ganze Kollektion von „Hello Kitty“-Plüschtieren zu besitzen, schreibt der Satiriker Nury Vittachi in seinem Bestseller „Only in Hong Kong“. Das ist sicher nicht ganz richtig, denn schließlich ist Japan das Mutterland von „Hello Kitty“ – einer stilisierten Katzenfigur, die kleine und nicht mehr ganz so kleine Mädchen, aber auch manche Jungs in ganz Ostasien um den Verstand bringt.

In Hongkong scheint die Figur der japanischen Firma Sanrio aber tatsächlich die größte, zumindest aber die hingebungsvollste Anhängerschaft zu besitzen. Auf Supermärkten, in Shopping-Malls oder auf Nachtmärkten, allgegenwärtig ist das Kitty-Katzengesicht auf Badelatschen, Aufklebern und Plastikweckern. Kleine Katzen schauen dich an, überall: von der Schürze der Bedienung im Imbiss, vom Schreibtisch der Arbeitskollegen und von den Armaturenbrettern der Autos auf der Straße. „Hello Kitty“-Krimskrams verstopft die Kinderzimmer Hongkongs, und ansonsten völlig unauffällige Sekretärinnen gießen sich in der Mittagspause Instant-Nudelsuppen auf, in denen kleine Katzengesichter schwimmen. In „Hello Kitty“-Cafés, von denen es in Hongkong zwei gibt, kann man Waffeln essen, die in eine „Hello Kitty“-Form gepresst wurden.

Es gibt eine schier unüberschaubare Produktpalette mit der niedlichen Ikone: Bleistifte, Radiergummis und Federmäppchen, Armbanduhren, Wecker und Plastikfiguren, Tassen, Gläser und anderes Küchengeschirr, Kulturbeutel, Spiegel und Duschhauben, Computer, Kreditkarten und Mofas. Sammler informieren sich per vierteljährlich erscheinendem „Hello Kitty“-Katalog über die neusten Trends. Und wem das nicht reicht, der kann sich anhand von Strickmusterheften weitere „Hello Kitty“-Sachen selber nähen.

Der Kult um „Hello Kitty“ ist sicher eine der rätselhaftesten Massenbewegungen Ostasiens, gegen die sich die anderen modernen Kulte des Kontinents, ob Falun Gong oder die Aum-Sekte, wie Manifestationen absoluter Rationalität ausnehmen. Die Figur gibt es schon seit 25 Jahren, doch in der letzten Dekade ist das Merchandising explodiert.

Der Autor Nury Vittachi hält den Kitty-Boom für einen Nebeneffekt des asiatischen Wirtschaftswunders: Erwachsene, deren Kindheit noch von Mangel und Verzicht geprägt war, holten mit „Hello Kitty“ ein Stück Jugend nach. „Hello Kitty“ ist sicher das niedlichste Anlitz des Kapitalismus, aber auch das geheimnisloseste, denn hinter dem ausdruckslosen Gesicht verbirgt sich keine Geschichte. Während Figuren wie Mickymaus oder Snoopy, die auch im Westen exzessiv vermarktet werden, noch auf ein ganzes Comic-Universum verweisen, steht „Hello Kitty“ nur für sich selbst. Eine Katze ist eine Katze ist eine Katze, und die ist schlicht süß. „Kawaii“ findet man sie in Japan, „cute“ in Hongkong. Westler dagegen finden den asiatischen Niedlichkeitsfetischismus gewöhnlich bloß infantil und deuten die uniforme „Hello Kitty“-Begeisterung als Ausdruck mangelnder Individualität. Dabei ist sie nur eine besondere Spielart des Individualismus im Zeitalter der Massenkultur: nicht als Spiel mit der Form, sondern in der Form.

Der Grafikdesigner Freeman Lau hält Figuren wie „Hello Kitty“ für Verkörperungen eines typisch „östlichen Gefühls“. Asiatische Ästhetik, das heißt schließlich schon lange nicht mehr Lotusblätter im Gartenteich oder hingetuschte Kalligrafien auf Pergamentpapier, sondern quietschbunter Technikkitsch und kulleräugige Manga-Helden und -Heldinnen mit ballonförmiger Oberweite – aus Japan natürlich, das in Sachen Popkultur der gesamten Region seinen Stempel aufdrückt. Vieles in Asien ist ein simpler Abklatsch. Doch während sich in Japan bestimmte Moden längst ausdifferenziert haben, finden sie anderswo eher eindimensionale Verbreitung.

So kann man in Japan die gleichen Waren mit einer Reihe von ganz unterschiedlichen Figuren erstehen; die gleichen Badelatschen jeweils mit einem anderen Sympathieträger: mit knuddligen Hasen (My Melody), drolligen Pinguinen (Badtz Maru), oder lustigen Fröschen (Keroppi). Doch die bei weitem beliebteste Figur in Hongkong ist „Hello Kitty“. Hätte es eine freie Abstimmung gegeben, die meisten Bewohner hätten sich 1997 sicher für „Hello Kitty“ als Symbol ihrer Stadt entschieden, und nicht für die weiße Bauhinia-Blüte auf rotem Grund, die jetzt auf allen Flaggen prangt.