AM WOCHENENDE ENTSCHEIDEN DIE GRÜNEN IN NRW ÜBER IHRE WÜRDE
: Das Herzschlagfinale

Es wird spannend. Interne Hochrechnungen prophezeien ein Herzschlagfinale. Nicht bei der Fußball-EM, sondern bei der grünen Landesdelegiertenkonferenz in Bonn am Wochenende. Die Basis muss über den umstrittenen Koalitionsvertrag mit der SPD in Nordrhein-Westfalen abstimmen. Und nicht nur der Bauch, auch der Kopf sagt bei immer mehr Delegierten: „Nein!“ Polit-Darsteller Möllemann hat die Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und SPD mit der Atmosphäre der Gespräche zwischen Nord- und Südkorea verglichen. Das ist falsch. Die koreanischen Führer haben sich umarmt, sie haben gescherzt und gelächelt. Das kann man von Rot-Grün nicht sagen. Clement hat den Grünen einen Ring durch die Nase gezogen, den Kälberstrick eingeklinkt und sie mehrere Runden durchs Dorf geschleift.

Noch nie in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus ist ein Koalitionspartner so rücksichtslos behandelt und, mit der Dauerdrohung Möllemann, so offen erpresst worden. Auch darüber müssen die Grünen entscheiden: ob sie ihre Würde und Selbstachtung am Garderobenständer des Landtags abgeben; ob sie eine Koalition mit einem Betonkopf eingehen, in dessen antiquiertem Wirtschaftskurs die Grünen nicht mehr sind als ein Störfaktor; ob sie sich in den nächsten fünf Jahren als Umfallerpartei etablieren wollen.

Aber es geht nicht nur um die eisige Atmosphäre zwischen den Koalitionspartnern, die jeden reformerischen Aufbruch ausschließt. Es geht auch um den real existierenden Koalitionsvertrag: Lässt man die Prosa beiseite, bleibt festzustellen: Die Grünen sollen einer Vereinbarung zustimmen, die sie zwingt, das Gegenteil ihrer eigenen, jahrelang engagiert verfochtenen Politik durchzusetzen. Sie haben ihre Mitglieder aus dem berechtigten Widerstand gegen Autobahnprojekte und Fluglärm rekrutiert. Genau diese Autobahnen und genau diesen Fluglärm sollen sie jezt als Teil der Landesregierung exekutieren.

Für die Grünen ist Bonn-Beuel die letzte Chance, Rückgrat zu zeigen. Sind sie eine Partei, die für zwei Ministerämter um jeden Preis zu haben ist? Oder gibt es doch noch eine Schamgrenze? Es geht nicht um das Schreckgespenst Möllemann. Auch nicht darum, dass Berlin wackelt, wenn die NRW-Koalition kippt. Das ist Unsinn. Es geht um das Schreckgespenst der verlorenen grünen Identität. Um den Verlust von Bürgerinitiativen, Mitgliedern und Wählern, die ihre Stimme keiner Partei geben, die alles mitmacht. Bärbel Höhn war eine gute Umweltministerin. Sie wird eine sehr gute Oppositionsführerin sein. Und die Partei könnte zu dem zurückfinden, was wir, mit einem Schüsschen Pathos, die grüne Seele nennen. MANFRED KRIENER