Putin gibt sich nett

Bei seinem Besuch wird dem russischen Präsidenten vieles nachgesehen. Seine deutschen Gesprächspartner wollen eines: Geschäfte machen

von BORIS SCHUMATSKY

Mit betonter Lockerheit hat Russlands neuer Präsident Wladimir Putin bei seinem Besuch in Berlin die Sympathien auf seine Seite gebracht. Nach einer Phase der Abkühlung fanden die deutsche und die russische Führung bei ihren ersten Regierungsgesprächen nach dem Machtwechsel im Kreml wieder einen Draht zueinander. Auch persönlich scheinen sich Putin und Kanzler Gerhard Schröder näher gekommen zu sein.

Deutsche Kritik am Tschetschenien-Krieg prallten an dem Ex-Geheimdienstchef ab. „Unsere Positionen sind moralisch“, meinte er zu diesem Thema in seinem Vortrag vor der deutschen Wirtschaft. Seit Monaten arbeitet der Kreml an seinem Regierungsprogramm, doch statt in seiner „Berliner Rede“ ein neues politisches und ökonomisches Konzept zu präsentieren, rechtfertigte Putin seinen Tschetschenienfeldzug, kritisierte die US-Pläne für ein nationales Raketenabwehrsystem und warb um Investitionen. Trotzdem spendeten ihm die anwesenden Spitzenunternehmer Beifall.

Die deutsche Wirtschaft und Putin scheinen sich einig zu sein: Die zwischenstaatlichen Differenzen und Menschenrechtsprobleme sollen ausgeklammert werden, damit die Bundesregierung ohne politische Bedenken Bürgschaft für die Investitionen übernehmen kann.

Putins Rechtfertigungen sind alles andere als überzeugend. Der Präsident gab zu, dass der Tschetschenienkonflikt nur politisch lösbar wäre. Doch die Verhandlungen mit dem gewählten Präsidenten Maschadow lehnt er nach wie vor ab. Putin machte auch deutlich, dass er eine Osterweiterung der Nato nicht akzeptieren könne. Gleichzeitig fügte er hinzu,sein Land sei in dieser Frage offen für einen „pragmatischen Dialog“.

Während seines Berlin-Besuchs machte Putin keine ernsthaften politischen Zugeständnisse. Aber darum ging es seinen Gesprächspartnern auch nicht. Nur ein Thema war wirklich wichtig: Geld. Deshalb ließ man Putin auch die Drohung durchgehen, Russland würde zu Reaktionen gezwungen, falls in Europa US-amerikanische Abwehrraketen stationiert werden sollten.

Das politische Vokabular des Kalten Krieges entspricht durchaus dem Image, das Putin in Europa anstrebt. Er präsentiert sich als starker Politiker, der endlich Stabilität und Ordnung in seiner Heimat herstellt und damit Investitionen in die russische Wirtschaft ermöglicht. Die „Diktatur des Gesetzes“, für die Putin auch in Berlin plädierte, ist nicht etwa eine Law-and-Order-Politik. Egal, was seine persönliche Intentionen sein mögen, in der Praxis bedeutet Putins Innenpolitik Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Inhaftierung der politischen Gegner.

Im Gegensatz zu den deutschen haben die US-amerikanischen Unternehmer sich auf diese Situation bereits eingestellt. Nach der Festnahme des Kreml-kritischen Medienmagnaten Wladimir Gusinski sagte eine hoch gestellte Delegation amerikanischer Wirtschaftsführer ihre Moskaureiseab. Der stellvertretende Staatssekretär Strobe Talbott erinnerte an die Bekenntnisse Putins für Demokratie und Pressefreiheit und sagte, er sehe einen Widerspruch zwischen Worten und Taten.

Im Gegensatz zur US-amerikanischen verfolgt die deutsche Russlandpolitik ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Alle ökonomischen Fragen hat Deutschland nun in seinem Sinne gelöst. Russische Schulden werden nicht erlassen und die Unternehmer werden ihre Bürgschaften bekommen. Dies könnte sich allerdings schon bald als ein Bärendienst nicht nur gegenüber den russischen Opfern der „Diktatur des Gesetztes“, sondern auch für die deutsche Wirtschaft erweisen. Wladimir Putin setzt auf Gewalt, und es ist nicht auszuschließen, dass sich sein Vorgehen in Tschetschenien in ganz Russland wiederholt. Dann allerdings wird der russische Schuldenberg mit Sicherheit noch größer.