Ewiggestrige unterwegs

In Königs Wusterhausen bei Berlin träumten 200 Glatzen am Wochenende vom Verschwinden der Bundesrepublik. Vor dem Brandenburger Tor versammelten sich eine Handvoll „Republikaner“

von ANDREAS SPANNBAUER

Die neue Ordnung für Deutschland entsteht auf dem Norma-Parkplatz am Rand von Königs Wusterhausen. Eifrig erteilt der Neonazi-Führer Christian Worch, der eigens mit Frau und Hund aus Hamburg angereist ist, letzte Anweisungen an die zweihundert Glatzen, die schon seit einer Stunde gelangweilt in der Nachmittagssonne sitzen. Sie sind dem Ruf der rechtsextremen NPD gefolgt, in der am südlichen Rand von Berlin gelegenen Kleinstadt an die „Opfer des organisierten Massenmordes an deutschen Arbeitern am 17. Juni 1953“ zu erinnern.

Routiniert verliest Worch über Lautsprecher den Auflagenbescheid der Polizei. Das Betreten der Innenstadt ist verboten, für den Aufmarsch dürfen die Rechten nur die rechte Straßenseite nutzen. Dann setzt sich der Zug in Bewegung. Trommelwirbel sollen für Stimmung sorgen, doch den Rhythmus haben diese Deutschen nicht im Blut. In Dreiherreihen ziehen sie durch ein Plattenbauviertel.

Schon Stunden zuvor haben sich die Gegner der NPD am Denkmal für die Opfer des Faschismus versammelt. Fred Löwenberg von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) ruft die jungen Teilnehmer dazu auf, den Kampf gegen die Rechtsradikalen fortzuführen. „Wir sterben aus“, sagt der alte Mann. Das Durchschnittsalter im VVN beträgt 83 Jahre. Später demonstrieren etwa 250 linke Jugendliche. Ihre Gegner bekommen sie nicht zu sehen; die Polizei hat den Auftaktort der NPD mit Wasserwerfern abgeriegelt. Wieder auf dem Parkplatz angekommen, ruft der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Andreas Storr die nationale Erhebung aus. „Dieser Staat wird über Nacht verschwinden“, proklamiert er im Tonfall eines Reichsparteitages und vergleicht Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem DDR-Staatschef Walter Ulbricht. Auf den Tod des Mosambikaners angesprochen, der in der vergangenen Woche von Rechten in Dessau totgeprügelt wurde, hat Storr zuvor das Gesicht verzogen und geantwortet: „Mord ist kultureller Alltag.“

In Berlin ruft der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, an diesem Tag dazu auf, „den Ewiggestrigen keinen Raum zu lassen“: Vor dem Brandenburger Tor erinnert eine Hand voll „Republikaner“ an den Aufstand des 17. Juni.