Nicht Lola, nicht Marlene, einfach Filmpreis

Wim Wenders groovt in kleinen Tanzschrittchen vor sich hin, Michael Naumann überwindet seinen prämenstruellen Wankelmut und Hannelore Elsner umarmt vor Glück sich selbst: Und die Deutschen Filmpreise in Gold und Silber gehen an „Die Unberührbare“, „Sonnenallee“ und „Absolute Giganten“

von KATJA NICODEMUS

Das deutsche Kino ist nicht so recht zu fassen. Vor nicht allzu langer Zeit ist es aus einem inhaltlichen Dämmerschlaf erwacht, hat sich geräkelt, umgeschaut und dann plötzlich breit gemacht zwischen präpubertären Kommödchen, schwergeschützigen Geschichtsbeschwörungen, Genreversuchen, schüchterner Sozialkritik und sogar einem neuen Subgenre: Dem Mauer-Film. Mit ziemlich genau zehnjähriger Verspätung drang der Zusammenbruch der DDR aus dem erzählerischen Unterbewusstsein auf die Leinwand, und auch für dieses Ereignis standen mit einem Mal alle möglichen Stile und Tonlagen bereit.

Nostalgisches Rauschen

So ergaben die Nominierungen zum Deutschen Filmpreis, seit jeher ein seismografisches Stimmungsbild der Branche, in diesem Jahr eine postsozialistische Phänomenologie auf Zelluloid, unterlegt von einem leicht nostalgischen Grundrauschen: Von der Ost-Alltagssatire und Teenieklamotte („Sonnenallee“) über das schwarzweiß stilisierte Schicksal eines Ex-Bonzen („Wege in die Nacht“) zu den letzten Tagen einer westdeutschen Schriftstellerin, die in die untergehende DDR alle utopische Sehnsucht hineinprojiziert („Die Unberührbare“). Und ein Dokumentarfilm, der deutsch-deutsche Befindlichkeiten am Beispiel des Ostberliner Eishockey-Clubs „Die Eisbären“ auslotet („Heimspiel“).

Mit insgesamt 5,36 Millionen Mark ist der Deutsche Filmpreis die höchstdotierte deutsche Kulturauszeichnung. Für Michael Naumann Gelegenheit, auch ein wenig vom Glamour und Pseudo-Glamour der Branche abzukriegen, auch wenn sie bei einem Marktanteil von 14 Prozent in der letzten Saison nicht wirklich viel zu feiern hat. Vielleicht auch, um von seinen Patzern bei der Regelung der Berlinale-Leitung abzulenken, entfachte Naumann im Vorfeld der Verleihung einen ziemlichen Medienwirbel.

Naumanns Wankelmut

Wobei er Äußerungen von geradezu prämenstrueller Wankelmütigkeit von sich gab: Naumann lobt den deutschen Film als engagiert und gesellschaftskritisch, um ihn am nächsten Tag als zu trist und düster zu tadeln. Nennt ausgerechnet den doch bekanntermaßen zu populären Gewinnern tendierenden Deutschen Filmpreis ein „intellektuelles Fort Apache“ (was, John Ford hin oder her, nicht gerade für kritisches Geschichtsbewusstsein spricht). Freut sich über „anspruchsvolles deutsches Autorenkino, wie zum Beispiel ‚Die Unberührbaren‘ “ und legt gleichzeitig die transatlantische Messlatte an: „Der deutsche Film wird nicht mehr auf Oscar-Niveau kommen, die Zugspitze wächst nun einmal nicht.“ Am Freitagabend durfte der Meister der schiefen Metaphern in der deutschen Staatsoper dann endlich die dicken Schecks übergeben.

Da die Verleihung von Pro 7 ausgerichtet und präsentiert wurde, stellte zu Beginn eine gottgleiche Off-Stimme erst mal klar, dass der deutsche Film ohne den Kirch-Sender gar nicht denkbar sei. Und natürlich waren die Moderatoren Götz Alsmann und Susann Atwell sowie jede Menge Gäste überglücklich, „dass ich diesen Preis gerade hier auf Pro 7 übergeben darf.“ Aber dafür stimmten die Essentials: Eine Million Mark und den Goldenen Filmpreis für Oskar Roehlers „Die Unberührbare“, und damit die Entscheidung für den besten Film, nicht den Publikumserfolg. Silber (und damit immer noch 800.000 DM) für Leander Haußmanns „Sonnenallee“ und „Absolute Giganten“ von Sebastian Schipper, Hit und Newcomer, was insgesamt ein hübsch repräsentatives Triangel ergibt. Zwar war der Darstellerinnenpreis für Hannelore Elsner in „Die Unberührbare“ klare Sache, sie freute sich aber trotzdem noch so sehr, dass sie nicht nur Regisseur Roehler, ihren Sohn und die Crew, sondern auch noch sich selbst verbal umarmte.

Ins Jenseits geschnulzt

Die Verleihung: der übliche, nach Werbepausen strukturierte, nicht enden wollende Wurmfortsatz aus Trailerschnipseln, Dankesreden und Schlagerpotpourris. Keine großen Peinlichkeiten, eher Merkwürdiges. Da gab es wieder den Zusammenschnitt der Branchentoten des letzten Jahres, von Brian Ferry vor einem Bildschirm elegisch ins Jenseits geschnulzt. Ferry vor den riesigen Gesichtern von Willy Millowitsch, Dieter Krebs und Paula Wessely eine wunderbar pathetische nekrophile Popblüte, die man so gar nicht erwartet hätte. Wie es ungefähr aussieht, wenn Wim Wenders mal so richtig die Sau rauslässt, hätte man sich vielleicht vorstellen können. Trotzdem komisch, wie er nach dem Gewinn des Dokumentarfilmpreises (für „Buena Vista Social Club“) beim BAP-Auftritt plötzlich in kleinen Tanzschrittchen vor sich hin groovte und dabei ganz spirituell die Arme bewegte, ungefähr wie ein Konfirmand, der zum ersten Mal in eine Baghwan-Disco geht.

Die kleine Statue (Uwe Ochsenknecht: „Sieht aus wie ein geplatzter Hosenträger“) hätte bei dieser 50. Verleihung übrigens laut Ankündigung einen Namen kriegen sollen, Lola, Marlene so ähnlich. Soll es ruhig der Deutsche Filmpreis bleiben. Passt doch.