Bullenritt ins Finale?

Spaniens Trainer Camacho verteidigt nach dem 2:1 gegen Slowenien vehement sein Team gegen Kritiker, die die Höhe des Sieges bemängeln und hat nur noch eines im Sinn: den EM-Titel

aus AmsterdamRALF MITTMANN

Einmal Verteidiger, immer Verteidiger. José Antonio Camacho braucht offenbar Gegenspieler, die er ärgern, peinigen, lächerlich und fertig machen kann. So unerbittlich wie der 45-Jährige in seiner aktiven Zeit als Giftzwerg bei Real Madrid Angreifer bearbeitete, so leidenschaftlich duelliert er sich heutzutage als Trainer der spanischen Nationalmannschaft mit Medienvertretern. Wie es sich für einen Rauhbauz wie Camacho gehört, spielt dabei die nationale Färbung der Feindbilder keine Rolle. Ausgeteilt wird an alle, die unangenehme Fragen stellen.

So erwischt es nach dem 2:1-Sieg der Spanier gegen die Slowenen einen englischen Reporter, der seiner Arbeit schon nachging, als der internationale Fußball einen Camacho noch gar nicht kannte. Ob denn das große Spanien gegen das kleine Slowenien nicht hätte deutlicher dominieren müssen, will der Journalist wissen, ein Begehren, das Spaniens Coach in Erregung versetzt. „Wer solche Fragen stellt“, raunzt Camacho, „der versteht nichts vom Fußball.“ Die Slowenen hätten eine gute Mannschaft, „die EM-Teilnahme hat man ihnen ja nicht geschenkt“. Außerdem habe keine andere Mannschaft bei diesem Turnier eine schlechtere Vorbereitung gehabt und seine Spieler „mit über 85 Partien“ die meisten Saisonspiele in den Knochen. Und heiß, jawohl, „unangenehm heiß“, sei es auch noch gewesen. Leicht ist es für den Betrachter, sich Camacho als Stierkämpfer vorzustellen, der den Bullen erst mit Stichen quält, ehe er zum tödlichen Hieb ansetzt. In Amsterdam vollendet er seinen Kampf so: „Das Wichtigste ist, dass du gewinnst. Das war unser Ziel und das haben wir erreicht.“

So falsch ist das nicht. Im Sport gewinnt, wer gewinnt. Nicht unbedingt an Sympathien, aber das braucht ein Camacho sowieso nicht. Einen Vorwurf freilich müssen sich die Spanier schon gefallen lassen. Wenn sie so ausgelaugt sind von einer mörderischen Saison; wenn sie wirklich so unendlich viele Spiele in den edlen Beinen haben; wie sie jetzt alle stöhnen; wenn sie ohnehin müde sind und ihnen die holländische Juni-Sonne die Luft abstellt, warum reden sie dann ständig vom Gewinn der EM? „Es ist unsere Pflicht, Europameister zu werden“, erklärt Josep Guardiola. Oder Superstar Raúl, „Man of the Match“, sagt: „Mich interessiert nur der Titel.“

Es ist ja nicht so, dass den spanischen Fußballern irgendwer etwas Schlechtes will. Nur kann die Meinung nicht verboten sein, dass sie mit den bisher gezeigten Leistungen das Turnier nicht gewinnen werden. Oder ist auch Sloweniens Trainer Srecko Katanec ein Dummschwätzer aus dem Tal der Ahnungslosen? „Die Spanier haben mich nicht beeindruckt“, sagt der ehemalige Profi des VfB Stuttgart, „es gab kein Element im Spiel, in dem sie besser waren als wir.“ Nur die Routine habe den Ausschlag gegeben, meint Katanec, „sie haben unsere Unaufmerksamkeit in der Anfangsphase und unseren Konzentrationsmangel nach dem Ausgleich ausgenutzt“. Raúl traf bereits nach vier Minuten zum 1:0, Exteberria besorgte das 2:1 nur 40 Sekunden nach dem Ausgleich der Slowenen durch Zahovic (59.). „Lehrgeld“, sagt Miran Pavlin, „kräftiges Lehrgeld, das wir bezahlen müssen.“

Gegen den letzten Gruppengegner Norwegen haben sie schon in der EM-Qualifikation gespielt und zweimal verloren. „Macht nichts“, sagt Pavlin, „wir werden um unsere Chance kämpfen.“ Rein persönlich betrachtet, könnte sich der EM-Auftritt am Ende für einige Slowenen gelohnt haben. Pavlin, der noch einen Vertrag bis 2001 beim SC Freiburg hat, steht in Kontakt mit dem FC Porto, und bei Torjäger Zlatko Zahovic sollen sich gar Real Madrid und der FC Barcelona gemeldet haben.

Den Spaniern steht derweil eine höchst unangenehme Aufgabe bevor. Nach Lage der Dinge müssen sie die Partie gegen Jugoslawien gewinnen, wollen sie das EM-Viertelfinale erreichen, um – frei nach Guardiola – nicht ihre Pflicht zu verletzen.

Slowenien: Dabanovic - Milanic (68. Knavs), Galic, Milinovic - Novak, Ceh, Pavlin (82. Acimovic), Karic - Zahovic - Udovic (46. Osterc), Rudonja Spanien: Canizares - Salgado, Hierro, Abelardo, Aranzabal - Etxeberria, Guardiola (81. Helguera), Valeron (88. Engonga), Mendieta - Raul, Alfonso (71. Urzaiz)Zuschauer: 38.000; Tore: 0:1 Raul (4.),1:1 Zahovic (59.), 1:2 Etxeberria (60.)