kikkerballen
: Heimweh plagt deutsche EM-Reporter

Stöhnen in der Nervenheilanstalt

Natürlich sind JournalistInnen, die ihre Nationalmannschaft begleiten, patriotische Menschen – und daher darauf erpicht, mit ihren Sujets und Helden bzw. Patienten möglichst lange im Wettbewerb zu bleiben. So könnte es sein. Liebe LeserInnen! Hier verraten wir eines der bestgehüteten Reportergeheimnisse: Es ist nur die halbe Wahrheit. Nicht dass Daumendrücken für Babbel, Hrubesch und Co. unter uns verpönt wäre – aber gemeinsam mit Erich und Lothar nach knapp zwei Wochen raus und heim zu fliegen, fände mancher aus gutem Grund in Wahrheit gar nicht mal so übel.

Für den Kollegen aus dem Rheinischen etwa muss man da Verständnis haben, wenn er jetzt ein bisschen mit den Portugiesen und Engländern mitfiebert. Der hatte Ärger genug mit dem belgischen Botschafter, der ihn qua Anruf bei seiner Redaktion von der EM abziehen lassen wollte. Dabei hatte er bloß das schöne Land der ungesalzenen Pommes in Bausch und Bogen in seinem Artikel als einen einzigen Rotzlöffel beweihräuchert.

Ganz gerne ausscheiden würden auch die aus verständlichen Gründen (Frikandel speciaal! Broodje gezond!) von Darmzerrungen heimgesuchten Laptop-Kombattanten sowie die ewigen Pechvögel, die einfach niemals bei der Zuteilung der Interview-Tickets berücksichtigt werden. Andere, aus der bajuwarischen Reporterfraktion, glauben es in ihrem Euro-Domizil nicht länger aushalten zu können, welches sie an ein Altersheim erinnert. Regen sich einerseits über den orangefarbenen Klingelknopf in der Nasszelle auf, mit dem gemeinhin in solchen Häusern die Krankenschwester herbeizitiert werden kann. Empören sich andererseits, wenn bei Knopfdruck nicht mal die Bedienung kommt. Der Tross aus dem Norden, auch schon EM-müde, vermutet inzwischen in einer Nervenklinik untergekommen zu sein.

Das regelmäßige, irgendwie irre Stöhnen aus den umliegenden Fenstern, ursprünglich schon als Fortpflanzungsgeraune gedeutet, dauert mitunter geschlagene zwei Stunden an. Auch weniger gravierende Kümmernisse lassen den Gedanken an vorzeitige Heimreise auf die Deutschland-Reporter einen geheimnisvollen Reiz ausüben. Da ist zum Beispiel unser Freund aus der Eifel, dem es fürchterlich peinlich ist, wenn er zwischen den Zwangsjacken-engen Sitzreihen zur Hymne nicht aufstehen kann. Oder der Hansestädter, dessen drei Kollegen am spielfreien Tag Damenbesuch empfingen, wie die DFB-Kicker am Einsatztag der Spielerfrauen. Der Einsame beklagt „flächendeckenden Lagerkoller“. Der schweigenden Mehrheit, die bei Ribbecks täglich vorgetragenen „hinkenden Überkreuzvergleichen“ ihre chronische Pressekonferenz-Kolik kriegt, ist sowieso nicht mehr zu helfen und die sofortige Versetzung in den Stand der Frühheimkehrer nur zu wünschen.

Die im gemütlichen Vaals ansässige schreibende WG hat das Vorrunden-Aus erst recht verdient: „Jeden Abend die gleiche Kneipe“, jammert das Trio, das sich aus unerfindlichen Gründen noch nie ins zehn Minuten entfernte pulsierende Aachener Nachtleben vorwagte. Und ob der vermeintliche Reporter-Hool aus der Hauptstadt noch weiter am Turnier teilnehmen kann? „Nazi“ hatte der Ordner verstanden, dem er im Nachspiel von Rotterdam Zweisilbiges zugeflüstert hatte und daraufhin vorübergehend seine Akkreditierung verlor. Ohrenzeugen schwören: Er hat ihn „Schatzi“ gerufen. Für weiteren Holland/Belgien-Aufenthalt reichen bei unseren Unglücksraben die Laktatwerte nicht. Ist solcher EM-Verdruss etwa nicht entschuldbar?

Wie man’s nimmt. Der wahre Loser hält durch: der bislang einzige Kollege, dessen Auto abgeschleppt wurde (das er auf Empfehlung eines ortsansässigen Gendarmen in Stadionnähe parkte). Der bisher einzige, dem eine Eintrittskarte verwehrt wurde. Wenn einem die Tür zum Pressebuffet vor der Nase zugesperrt wird, dann ihm. Der arme Tropf soll, wie man hört, auch als einziger Reporter in Charleroi vom Wasserwerferstrahl erfasst worden sein. Der Mann schafft klaglos weiter. Bis zum Finale in Rotterdam. Er muss. Sein Team scheidet niemals aus. Unser Loser ist neutral. Er hat keinen Ribbeckmatthäus, der ihm zum Ausscheiden verhilft. Er ist Schweizer.

FRANKA LAYER