Elf Trainer

Eine Erzählung

Elf Trainer

hatte ich. Der Erste hat mich entdeckt und mir den Mut gegeben, meine Karriere als Profi zu beginnen. Der Zweite war ein Spaßvogel, immer für einen lustigen Einfall gut, aber als es in der Liga nicht gut lief, fiel die Kritik auf ihn. Der Dritte war ein harter Hund, bei ihm durfte man sich keine Ausfälle erlauben, Aufbegehren wurde mit Entzug des Stammplatzes bestraft. Die Öffentlichkeit bewunderte sein Händchen im Umgang mit den Stars. Er verstand es, die Großen des Geschäfts in ein taktisches Konzept einzubinden, gegen das sie bei anderen rebelliert hätten. Der Vierte war ein Schweiger, immer wieder haben seine taktischen Geniestreiche das Konzept der gegnerischen Mannschaft zu Makulatur gemacht, man wusste nie, woran er gerade dachte, aber sicher hatte es mit Fußball zu tun. Der Fünfte war ein Philosoph. Wo andere von einem simplen Spiel sprachen, das noch immer über Einsatz, Können und das nötige Quentchen Glück entschieden würde, vertrat er Ansichten wie: „Um nach oben zu kommen, muss man unten gewesen sein“, und: „Kein Tor schießt sich selbst“, und: „Wer gewinnen will, muss siegen lernen.“ Der Sechste war mit dem Fußball verheiratet. Wo andere die Ansicht vertraten, es gebe Wichtigeres im Leben, vertrat er die Ansicht, es gebe gar kein Leben. Ihn an der Außenlinie zu beobachten, wenn wir spielten, an guten wie an schlechten Tagen, war immer ein Erlebnis für die Zuschauer. Seine Anspannung entlud sich in Wutausbrüchen, Beschimpfungen und Stoßgebeten an den Fußballgott. Er starb nach einer in letzter Minute abgewendeten Niederlage, so wie er es sich immer gewünscht hatte: aus dem Leben gerissen, das heißt aus dem Spiel. Der Siebente war ein Künstler. Seine Mannschaftsaufstellungen waren feinsinnige Kompositionen, die sich den Zuschauern und den Interpreten erst bei der Aufführung erschlossen. Der Achte war ein Motivationsgenie. Er schaffte es immer wieder, uns bei der Ehre zu packen, so dass auch der Letzte sein Letztes zu geben bereit war. Der Neunte war ein Minimalist. Er hielt nichts von großen Worten. Analysierten andere die Tücken und Feinheiten des Spiels und luden ihm Bedeutungen auf, die man darin nicht vermutet hätte, dann sagte er: „Kokolores. Wer zuletzt führt, hat gewonnen.“ Der Zehnte behandelte uns wie erwachsene Männer und überließ uns die Entscheidung, was wir mit unserem Potential anfangen wollten. Er lehnte es ab, für uns zu denken: „Ihr müsst selbst wissen, was ihr wollt, ich bin nur der Übungsleiter.“ Von allen Trainern, die ich in meiner Laufbahn hatte, war mir aber der Elfte der liebste. Unter ihm stieg ich zum ersten Mal ab, nicht weil er die Mannschaft schlecht trainierte, nicht weil die Mannschaft schlecht spielte, nicht weil uns der Siegeswillen fehlte, sondern weil wir zu alt geworden waren, um mit dem neuen System, das den Jungen in die Wiege gelegt war, mitzuhalten. Doch mit diesem elften Trainer war es ein Vergnügen, alt zu werden, nie vergesse ich seine Worte: „Jungs, eure Zeit ist gekommen, dagegen bin ich machtlos, aber ich werde euch weiter trainieren.“

JOCHEN SCHMIDT

„Elf Trainer“ ist ein Text aus der Reihe „Berufe“ und wird, zusammen mit anderen Geschichten von Jochen Schmidt, unter dem Titel „Triumphgemüse“ im August im Verlag C. H. Beck erscheinen