Wörlitz City – einfach weil es schön ist

Antje Vollmer, Ex-Kulturstaatsministerin und derzeitige Präsidentin der Disney Germany Development Company, profiliert sich mit einer zukunftweisenden globalen Stadtentwicklung, die das Konzept der ästhetischen Sicherheit in den Vordergrund stellt

von UTE ZIEGLER

Als im Sommer 2013 im Zuge der weiteren Deregulierung nicht nur die Parteien an private und institutionelle Investoren verkauft wurden, sondern auch die Staats- und Regierungsgeschäfte an die Börse gebracht wurden, zeichnete die Disney Germany Development Company 52 Prozent der Aktien und stellte daraufhin die Bundesregierung. Für die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Vollmer war es aufgrund ihrer Popularität ein Leichtes, den hoch dotierten Direktorinnenposten bei der Disney Germany AG mit Sitz in Berlin zu erhalten. Ihr Engagement in Sachen Kunst und Architektur hatte schon im ausgehenden 20. Jahrhundert Früchte getragen. Zunächst als kulturpolitische Sprecherin der Grünen, später als Kulturstaatsministerin hatte sie sich vehement für die Ästhetisierung staatlicher Repräsentation und die Reanimation historischer Schönheit und Werte eingesetzt. Dank ihrem Einsatz wurde nun besonders Berlin von der trostlosen Moderne befreit und blieb vor allzu Zeitgenössischem verschont. So entwickelte sich Berlin Anfang des 21. Jahrhunderts zu einer attraktiven Kulturmetropole, die weltweit Maßstäbe eines neuen, besser: alten Schönheitsempfindens setzte.

No more Biokitsch

Zunächst hatte Frau Vollmer ihre ästhetische Urteilskraft an der zeitgenössischen bildenden Kunst geschärft, wobei die damalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages vor allem in ihrem eigenen hohen Haus, dem Reichstag, allerlei „Biokitsch“ und schlappe Gerhard Richters anprangerte. Wenig später brachte sie ihre neu gewonnenen Erkenntnisse auch in den Architekturdiskurs ein. Dank ihrer überzeugenden Ausschussarbeit konnte nun parteiübergreifend alles Hässliche, wie Industrieruinen, alles Unverständliche, wie die zeitgenössische Kunst und Architektur, benannt und die durch die politische Geschichte kontaminierten Bauten der Berliner Mauer und des Palasts der Republik geschleift werden.

Zusammen mit ihrem Senior Vice President Dieter Hoffmann-Axthelm machte sie ab 2013 den Weg für eine ganz neue Stadtentwicklung frei – entsprechend ihrem Denkmalideal Wörlitz. Wörlitz, das vom aufgeklärten Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau 1764 in Auftrag gegebene und 1800 vollendete, wunderbare Gartenreich bei Dessau stand für sie gegen die moderne Banalität des 1925/26 von Walter Gropius erbauten und im 20. Jahrhundert noch international renommierten Bauhauses Dessau. Schon 2002 hatte sie als Kulturstaatsministerin dessen Totalsanierung gerade noch verhindern und stattdessen ihren ehrgeizigen Plan Wörlitz City in Angriff nehmen können. 2006 wurde das Bauhaus endlich geschleift und wich dem Pilotprojekt Wörlitz City I.

Dessen Konzept basierte auf einer Reaktivierung, besser Remystifizierung der historischen Formensprachen. In einem Wörlitzer Musterbuch, zusammengestellt unter der Leitung von Prof. Hans Kollhoff, konnten sich die Bürgerinnen und Bürger informieren, welche Grundrisse in welchem Stil und welcher Farbauswahl möglich waren. Das modulare Baukastensystem – einzig überdauerndes Relikt aus dem 20. Jahrhundert – ermöglichte trotz Standardisierung eine individuelle Gestaltung der deutschen Innenstädte. Dem Vorwurf modernistischer Gleichmacherei wollte man sich schließlich nicht aussetzen.

Allein Schönheit

Entsprechend der Vorgabe des Senior Vice President hieß es nun, dass es „kein unmittelbareres Maß“ für den aktuellen, aber auch zukünftigen Denkmalwert von Gebäuden gebe „als Schönheit“. Zwar ließ sich die Problematik des Begriffs in der Praxis nicht völlig negieren, dennoch konnte Schönheit zur Konsensformel des 21. Jahrhundert erhoben werden – dank dem Argument von der Unmittelbarkeit der architektonischen Wirkung. Anstelle von Kritik und Analyse sollte Wörlitz City Affekt und Emotion Nahrung geben.

Die ehemalige Politikerin Vollmer trieb ihr Vorhaben mit den klassischen Methoden und Strategien der Projekt- und Konzeptentwickler voran und lud Intellektuelle, Planer und Architekten aus ganz Europa in zahlreiche Koordinationsausschüsse ein. In ihren Vorträgen über die Aktualität des Projekts Wörlitz City kamen sie allesamt zu dem Ergebnis, dass heutzutage das Replikat dem Original vorzuziehen sei. Im Sonderausschuss mit Prof. Hans Kohlhoff, Wolf Jobst Siedler, Leon Krier, den Adlon-Architekten Jürgen und Rüdiger Patzschke, Michael Eisner, Chef der Walt Disney Productions, und Prinz Charles wurde beschlossen, dass Berlin-Mitte der zweite Standort für das nationale Stadtentwicklungsvorhaben Wörlitz City II sein sollte.

Seither bestimmt die Verfügbarkeit von Grund und Boden den ästhetischen Raum. Diese Entwicklung antizipierend, hatte sich Frau Vollmer schon im ausgehenden 20. Jahrhundert in ihrem Buch „Heißer Abriss“ für die Entstaatlichung des Denkmalschutzes eingesetzt. Als Kulturstaatsministerin brachte sie dann ein Gesetz ein, das vorsah, dass nur noch öffentliche Bauten, die vor 1850 entstanden waren, unter Schutz zu stellen seien. Die rechthaberische und unwissende Denkmalbehörde, die ihre Verantwortung jahrzehntelang missbraucht und die privaten Eigentümer kujoniert hatte, wurde aufgelöst. Das neue Gesetz setzte in ganz Deutschland eine gigantische Vernichtungswelle in Gang. Ehemals unter Denkmalschutz stehende Fabriken, Krankenhäuser, Siedlungen und Wohn- und Geschäftshäuser des 20. Jahrhunderts wurden dem Erdboden gleichgemacht. International renommierte Sprengmeister wurden nach Berlin berufen und sanierten nahezu den gesamten Innenstadtbereich. Aufgrund ihrer ins Unermessliche gewachsenen Schuldenberge veräußerten Bund und Länder ihren gesamten Grundbesitz an internationale Developer. Bis zur Übernahme der Regierung durch Disney waren so die Bodenverhältnisse geklärt. Berlin war nun vollständig in die Besitzverhältnisse privater Unternehmen übergegangen. Unter Renditeerwartungen wurde aller baukultureller Ballast abgeworfen. Da diese Entwicklung der Bodenpolitik die klassischen Steuerungsinstrumente der Stadtplaner obsolet machte, wurde auch diese Behörde aufgelöst. An ihre Stelle traten das Bodenmanagement der Disney Company und ihre Imagineers.

Die aus anderen Disney-Städten wie „Celebration“ bekannten Dienstleistungsqualitäten der unterhaltenden Fürsorge und Kontrolle sowie das genuine Wörlitz-Konzept der ästhetischen Sicherheit und Schönheit machten die unschlagbaren Stärken des neuen Stadtmodells aus, das in Europa zunehmend Anhänger fand. Dazu kam die raffinierte Doppelbödigkeit des Projekts. Denn selbstverständlich haben es Frau Vollmer und Herr Hoffmann-Axthelm für ihre Pflicht angesehen, Tradition mit avanciertester Technologie zu verbinden und gleichzeitig alle Sehnsucht nach dem, was unter dem fragwürdigen Begriff der modernen Architektur und Kunst firmierte, als sentimental und dem Wesen nach betrügerisch abzulehnen. Oberflächlich gesehen entsprach nun beispielsweise das Verkehrssystem von Wörlitz City II dem Stand vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Der Transport von Menschen und Gütern wurde weitgehend von Pferdedroschken und Rischkas erledigt, die zahlreichen neu angelegten Kanäle befuhren Gondeln, auf denen die Tenöre der Deutschen Nationaloper Unter den Linden (nach deren Schließung) weiterhin ihr Können unter Beweis stellen konnten. Unterirdisch gab es jedoch ein weit verzeigtes U-Bahn-System, das bereits seit 2010 für den Individualverkehr freigegeben worden war. Computergesteuerte Kapseln, die bis zu acht Personen befördern konnten, dominierten den Innenstadtverkehr. Das innovative Verkehrssystem wurde in die ganze Welt exportiert und festigte den Ruf des Standorts Wörlitz City II nachhaltig. Auch die technologische Infrastruktur und die dringend benötigten Datenhighways waren nach dem State of the Art ausgelegt.

Lesbare Tradition

In der internationalen Developerszene wurde das viel bejubelte Konzept oft kopiert, zumal sich die ästhetische und selbstverständlich auch physische Sicherheit als maßgeblich für den Erfolg des neuen urbanen Prototypen für das dritte Jahrtausend herausstellte. In Wörlitz City II ist die richtige Mischung von Wohnen und Arbeiten realisiert; die lesbare Tradition der Häuser und Straßen repräsentiert die Vielfalt und Attraktivität eines Themenwohnens, wie es im dicht bebauten gothischen Innenstadtviertel („Gothic City“) oder dem eleganten und weitläufigen Renaissance-Villenviertel („Quartiere Michelangelo“) am Rande des Tiergartens zu finden ist.

An wohl keinem anderen Ort lässt sich nun so befreit wahrhafte Schönheit erleben, die die Menschen in ihren Bann zieht, erfrischt und geläutert wieder entlässt. Das durch das 20. Jahrhundert stark beschädigte Individuum und die geschundene deutsche Nation fanden über die Form der urbanen Wörlitz City und ihrer auf Identifikation angelegten Architektur wieder den Weg zu sich selbst. Das Fegefeuer der Moderne ist endlich erloschen. Auch den Ängsten in Folge der unabwendbaren Globalisierung konnte mit dem Konzept der ästhetischen Sicherheit durch national und regional ausgerichtetes Themenwohnen entgegengetreten werden.

Die Schönheit eines humanen harmonischen Stadtbildes, das nicht nur von Touristen und Berlinbesuchern des 20. Jahrhunderts oft vermisst wurde, ist hier wieder entstanden. Das Berliner Stadtschloss, in dessen Innern die Wartungshalle der Verkehrsbetriebe von Wörlitz City II untergebracht ist, zeigt den innovativen Umgang mit den Nutzungsideen. Daneben sind Floratempel und gotische Häuser in zahlreichen Auflagen und Maßstäblichkeiten erbaut, die einen variantenreichen innerstädtischen Nutzungsmix aufweisen. Wobei sich die zentral gelegenen Wohnhäuser mit venezianischen Kirchenfassaden schmücken. Zwischen den überschaubaren Wohn- und Geschäftshäusern lassen sich in reizvollen Spaziergängen immer wieder neue Eindrücke sammeln und neue Sichtbeziehungen herstellen, die den Stadtprospekt durchziehen. Malerische Szenen, Bauwerke und Grünanlagen verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk. Man möchte daher das Lob, das der junge Goethe nach seinem Besuch von Wörlitz 1778 gegenüber Frau von Stein äußerte, als Kompliment an die Präsidentin und den Vizepräsidenten der Disney Germany Development Company weiterreichen: „Mich hat gestern Abend, wie wir durch die Seen, Kanäle und Wäldchen geschlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen.“

Ute Ziegler ist Teilhaberin des Büro 213, Berlin. Sie beschäftigt sich seit 1998 mit simulierten Vulkanausbrüchen und kopierten Pyramiden, mit echter Kunstwelt und künstlicher Echtwelt im Stadtraum.