Abschied mit Effekt

Immer wieder hat Antje Radcke Widersacher und Anhänger überrascht. Diesmal ist die grüne Bundesvorstandssprecherin gegen den Atomkonsens

Landtagswahl Schleswig-Holstein, Frühjahr 2000: Die Grünen haben den Einzug ins Landesparlament knapp geschafft. Antje Radcke müsste jetzt etwas sagen. Sie ist die grüne Bundesvorsitzende, die Kameras warten. Aber sie ist im Gespräch – mit einem unzufriedenen grünen Kreisverbandsmitglied.

Antje Radcke hat immer auf die Basis gesetzt und aus der Floskel „Wir müssen die Partei stärken“ eine ernst zu nehmende politische Aussage gemacht, egal ob im Kosovokrieg oder bei Personalquerelen. Sie tut es auch jetzt, im innergrünen Streit um den Atomkonsens, den sie als einzige des Bundesvorstands auf dem grünen Parteitag am Wochenende ablehnen will: „Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund dafür, einen Konsens zu akzeptieren, der sich ohne Not außerhalb der von uns beschlossenen und mit der SPD vereinbarten Restlaufzeiten bewegt“, appelliert sie in einem Brief an die Kreisverbände, die die Delegierten zum Parteitag entsenden.

Antje Radcke weiß: Sie wird den Atomstreit trotzdem verlieren. Denn eine Ablehnung der Vereinbarung, die die Bundesregierung und die Atombosse geschlossen haben, würde den Bruch der rot-grünen Koalition bedeuten. Dennoch beharrt sie auf ihrer Position, mehr noch: Sie hat ihre politische Karriere daran geknüpft. Sollte sie unterliegen, wird sie nicht mehr als Parteichefin kandidieren. Ein Selbstmordkommando, schütteln Parteifreunde den Kopf.

Sie haben Antje Radcke unterschätzt, wie schon so viele: Als die Hamburger Bezirksabgeordnete 1996 plötzlich Landesvorsitzende neben dem Medienliebling Krista Sager wurde, galt sie als blass und unerfahren. Ein Jahr später war es Radcke zu verdanken, dass die enttäuschte grüne Basis dem rot-grünen Hamburger Koalitionsvertrag zustimmte. Unkenrufe begleiteten sie, als sie 1998 Nachfolgerin des zum Minister avancierten Bundesvorstandssprechers Jürgen Trittin wurde. In der Tat erreichte Radcke ihn rhetorisch nicht. Trotzdem blieb sie und gab Widerworte – wider alle Attacken von höchster grüner Ebene, die selbst Sprecherkollegin Gunda Röstel schließlich verzweifelt die Brocken hinschmeißen ließen.

Radckes jetziger Schachzug ist der klügste, den sie unternehmen konnte: Gegen das von einer Mehrheit favorisierte grüne Spitzenduo Kuhn – Künast, das sie an der Parteispitze ablösen will, hätte sie ohnehin kaum eine Chance gehabt. Ihr Abgang hätte wie der einer Verliererin gewirkt. So aber geht Radcke, wenn sie denn geht, mit den besseren Argumenten. Und großen Teilen der Basis auf ihrer Seite.

HEIKE HAARHOFF