die stimme der kritik
: Betr.: Sanfte Hooligans

Tütenzwang für Schlägertypen!

„Aufgabe des Fußballs ist es“ – so einst der professionelle Hobby-Kicker und Ekstase-Experte Wolfgang Neuss (FC Schmiere) –, „Nationalismus in Folklore zu verwandeln.“ Es dürfte ihm mindestens einen posthumen „Siehste, hab’ ich doch gleich gesagt“-Brüller abnötigen, dass bei der Europameisterschaft 2000 ausgerechnet seinem Lieblingskraut – Cannabis – beste Wirksamkeit bei der Verwandlung überschwappender Ekstase in gute Laune bescheinigt wird. Dass sich die englischen Hooligans nach der Niederlage ihrer Mannschaft gegen Portugal in Eindhoven völlig friedlich verhielten, führte der Polizeisprecher der Stadt vor allem auf die gute Hanf-Versorgung in den lokalen Coffeeshops zurück. Die „vielfältigen Angebote“ der Stadt seien von den Besuchern gern wahrgenommen worden, die entspannten Hooligans hätten am Ende sogar den Aktionen der gegnerischen Mannschaft Beifall gezollt.

Am Wochenende in Belgien dagegen, wo den „erlebnisorientierten“ britischen Fans nur Alkohol zur Verfügung stand, mutierten sie prompt zu den gefürchteten Pitbulls. Schlägereien, Randale und Massenverhaftungen waren die Folge. Nun muss man deshalb im Sinne von Deeskalation und Entspannung nicht gleich Tütenzwang für Schlägertypen fordern – aber Hollands Liberalität im Umgang mit dem Joint hat sich einmal mehr als vorbildlich erwiesen. Nicht nur, weil dort statistisch weniger Einwohner kiffen als in den Prohibitionsstaaten ringsum, sondern auch, weil die Massenintoxination aggressiver Touristenhorden durch einen kleinen Dreh an der Ekstase-Schraube erfolgreich entschärft werden kann.

Aber zurück zum Fußball, wo die deutschen Kicker das Ihre zur Entschärfung nationalistischer Raserei taten: Nach 34 Jahren Rache für Wembley ließen sie die gebeutelten Engländer endlich wieder mal bei einem Turnier gewinnen. Das war überfällig und ist angesichts des Leistungsstands der deutschen Mannschaft auch kein Drama, obwohl sie eigentlich ein besseres Spiel lieferte als die englische – aber spätestens im Viertelfinale wäre die Lodda-Truppe ohnehin rausgeflogen. Zu einfallslos, zu nüchtern, zu wenig inspiriert – vielleicht hätte Sir Erich beim Mannschaftsspaziergang doch mal an ein paar Coffeeshops vorbeilaufen sollen.

MATHIAS BRÖCKERS