Schatz in Schwarz-Weiß

Der Fotograf Gerd Mingram alias Germin, Dokumentar Hamburger Geschichte, wird heute 90 Jahre alt. Eine Würdigung von  ■ Günter Zint

Hamburgs Geschichte hat er von den 30ern bis in die 80er Jahre auf mehr als 100.000 Schwarz-Weißfotos von bestechender Qualität festgehalten: Gerd Mingram alias Germin, der heute 90 Jahre alt wird. Der größte Teil seines fotografischen Schatzes liegt im Landesmedienzentrum und beim Museum der Arbeit. Einige Bücher sind bisher aus diesem Fundus entstanden, aber der größte Teil ist noch kaum ausgewertet. Demnächst wird es hoffentlich eine Ausstellung mit einer Werkschau über diesen Bestand geben. Leider haben sich bisher nicht genügend Sponsoren für das Projekt gefunden.

Das schlichte Schwarz-Weißfoto ist zur Zeit in den Medien sowieso wenig gefragt. Unser Weltbild beziehen wir hauptsächlich aus den 24 Bildern pro Sekunde, die uns das Fernsehen beschert. Germin beeindruckt uns mit eingefrorenen Momenten aus einer Zeit, die bestimmt nicht besser war als die unsere. Aber seine Fotos sind Stillstand, Innehalten und gleichzeitig Gedankenpausen, die doch wieder zum Nachdenken führen.

Während der Schaffensphase von Germin war die Fotografie das ideale Medium der Geschichtsschreibung. Einzelne Bilder sagen uns mehr als seitenlange Schilderungen gebildeter Autoren, oder lange Fernsehdokumentationen. Denn Germin ist Fotograf aus Berufung. Über diesen Beruf konnte er sich am besten mitteilen und trotz seiner schüchtern zurückhaltenden Art auf andere Menschen einwirken. Seine Haltung als Kommunist, Pazifist und Naturfreund hat ihm beruflich nur Probleme eingebracht. Trotzdem hat er deshalb keine seiner Überzeugungen über Bord geworfen. Vielmehr hat er immer konsequent auch in seinen Fotos die Themen problematisiert oder durchleuchtet, die ihn bewegten.

Ganz besonders deutlich wird dies bei seinen Bildern aus der Arbeitswelt. Germin hat in problematischen Zeiten mit primitiven Apparaten arbeiten müssen. Die Resultate lassen dies kaum ahnen. Manchen Themen näherte er sich mit Sujetbildern, die arrangiert waren. Er inszenierte Realität, um so unfotografierbare Themen wie „Sexuelle Misshandlung“ oder „Eheprobleme“ bildlich umzusetzen. Im Zeitalter von Reality-TV kommen uns diese Bilder fast rührend vor, lassen aber gleichzeitig Rückschlüsse auf die damalige Behandlung der Tabuthemen zu.

Selbst in der Nazi-Diktatur, als er nicht offiziell arbeiten durfte, hat er Bilder von großem dokumentarischen Wert geschaffen. Den Aufbau verschiedener Außenlager des KZ Neuengamme fotografierte er für das Hamburger Tageblatt, bevor ihm wegen seiner Sympathien für die Kommunistische Jugend der Schriftleiterausweis verweigert wurde. Ohne dieses Papier gab es keine Arbeitsmöglichkeit.

Ein Polizist nahm ihm 1933 seine geliebte Vogt Derby Kamera weg, weil er verbotenerweise eine Aktion gegen Juden fotografiert hatte. Der Beamte benutzte diese Kamera für seine Privatzwecke und besaß sogar die Frechheit, damit gemachte Fotos an Germin zu schicken. Was diesen aber bis heute ärgert ist der Umstand, dass dieser Ganove in Uniform nicht in der Lage war, mit dieser hervorragenden Kamera auch nur ein scharfes Foto zu machen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder aus der Perspektive der Arbeiter fotografiert. Für Gewerkschaftszeitungen, für die Wasser- und die Gaswerke in Hamburg und für verschiedene Zeitungen hat er Reportagen und Werbefotos gemacht. Diese Arbeiten sind ein unschätzbarer Wert für die Hamburger Geschichtsschreibung.

Heute wird er 90 Jahre alt. Neunzig Jahre, in denen er ein fotografisches Geschichtswerk geschaffen hat, dessen Wert heute noch gar nicht richtig eingeschätzt wird.