Zwei Affenbrüder

Keine Oase der Liebe: „Oasis“ treten heute Abend ohne Noel Gallagher in der Sporthalle auf  ■ Von Felix Bayer

Hier sind einige Zeilen, die die Besucher des Konzerts von Oasis heute Abend auswendig können sollten: „Because we need each other/we believe in one another/ And I know we re going to uncover/ what's sleepin in our soul“. Das ist der Refrain des Liedes „Acquiesce“, von dem gemutmaßt wird, es handele von der Beziehung der Brüder Liam und Noel Gallagher. So singt auf der Aufnahme des Stückes aus dem Jahr 1995 Liam die Strophen und Noel den Refrain. Oasis werden es heute Abend spielen, und Liam Gallagher wird das Publikum auffordern, den Gesang im Refrain zu übernehmen. Denn Noel wird nicht da sein.

Am 24. Mai kam die Nachricht, dass die Britpop-Könige ein Konzert in Paris absagten, weil der Gitarrist und Songschreiber Noel Gallagher nach Hause geflogen war und angekündigt hatte, bei den restlichen Konzerten der Tour durch Kontinentaleuropa nicht mehr auftreten zu wollen. Spekulationen, Noel habe Sehnsucht nach Frau und Kind gehabt, trat der Mann mit den dicken Augenbrauen entgegen: „Ich kann mit dem Affenjungen nicht mehr in einem Raum, geschweige denn auf einer Bühne sein“, sagte er bei einem Auftritt als Gastkommentator des Fußball-EM-Spiels Portugal gegen England, „der Idiot hat den Verstand verloren.“ Gemeint war natürlich der andere Mann mit den dicken Augenbrauen, Sänger Liam Gallagher. Und der antwortete auch in dem Kampfgeist, für den die Brüder bekannt sind: „Noel ist ein Loser. Wenn er ein Problem hat, soll er darüber reden und sich nicht einfach aus dem Staub machen.“ Und setzte gleich noch ein Ultimatum: „Wenn er denkt, er könnte ein Soloalbum machen und danach wieder angekrochen kommen, hat er sich geschnitten: Wenn Noel ein Soloalbum macht, ist Oasis zu Ende.“

Nun sind Streitigkeiten im Hause Gallagher absolut nichts Neues. Die englische Wochenzeitung New Musical Express (NME) hat die Chronik der Oasis-Kämpfe im Stehsatz und druckt sie auch jetzt gerne wieder. Und beginnen könnte sie sogar schon mit dem ersten großen NME-Interview mit der Band im April 1994: Schon damals wollten sich die beiden an die Kehle. Seinerzeit steigerten diese Konflikte den Ruhm der Band, denn sie machten klar, dass sie echte Working-Class-Typen waren, die keinem Streit im Pub ausweichen würden. Dass diese Kultur auch in England längst im Rückzug ist, konnte so prächtig verdrängt werden.

Heute streiten sie wieder, aber das bedeutet etwas anderes: Noel Gallagher repräsentiert das neue Establishment im Großbritannien Tony Blairs, bei dem er auch schon zum Tee war. Diesem Establi-shment ist die britische Pop-Geschichte ein Baustein zur Identi-tätsbildung, aber von den Fans ist es weit entfernt. Noel ist Dauergast im Prominentenclub Met Bar, seine Frau Meg Matthews schreibt eine erschütternd oberflächliche Zeitungskolumne. Für einige Zeit sah es so aus, als sei auch Bruder Liam ins Establishment aufgenommen: Der frühere Inbegriff des nordenglischen Großmauls hatte dem wilden Leben abgeschworen, kein Alkohol mehr, Familienleben mit der Schauspielerin Patsy Kensit, gemeinsames Kind und ein Stiefsohn, für den er eine unglaublich naiv-süßliche Hymne singt.

Doch kaum wieder auf Tournee, scheint mit Liam wieder der Rock'n'Roller durchgegangen zu sein: Den Krach mit Noel schrieben die englischen Gazetten Liams besoffenen, schlechten Benehmen zu. Zu Blairs kann man so einen nun wirklich nicht mitbringen, aber repräsentiert Liam Gallagher heute noch irgendwen? Auf den Sportseiten des Guardian fand sich ein lustiges Detail: Am Vorabend des ursprünglichen Hamburger Konzerttermins habe Liam Gallagher den Irish Pub „Finnegan's Wake“ aufgesucht, um dort das EM-Spiel seiner Engländer gegen Portugal zu sehen. Doch dort sei kein Sitzplatz mehr frei gewesen, und als ihn zu allem Überfluss niemand erkannte, habe Liam die Kneipe wütend verlassen. Irgendwo muss er das Spiel doch gesehen und kräftig gegen die englische Niederlage angeschrien haben: Am nächsten Tag sagte er den Auftritt in der Sporthalle ab – wegen Halsentzündung.

heute, 20 Uhr, Sporthalle