pampuchs tagebuch: Im endlos langsamen Strom der Zeiten
Alle reden von „Streaming“. Das sind die kleinen Filmchen, die man sich übers Netz reinholen kann. Ein wackliger Vorgriff auf die Zeit, wenn Computer und Fernsehen zusammengewachsen sind, was ja angeblich unmittelbar bevorsteht. Im Moment ist von Strömen keine Spur – wir befinden uns noch tief in der „Ruckling“-Phase. Ein Kenner hat mir kürzlich geweissagt, dass immerhin das Briefmarkenformat bald der Vergangenheit angehören soll. Die nächste Stufe, das so genannte „Hanuta“-Format sei auch für uns User, die noch ohne ISDN und neuste Technik leben, bereits Wirklichkeit geworden. Da habe ich mir gleich ein Hanuta gekauft und mir einen gemütlichen Streaming-Abend gemacht. Meine bescheidenen Recherchen haben allerdings ergeben, dass die häufigste Größe das „Post-it“-Format ist. Und zwar das der Urform (die gelben Klebezettel gibt es ja inzwischen auch in Hanuta).
Ja, ich weiß, ich bin hinter der Zeit. Aber immerhin habe ich zu meiner Premiere von Filmchengucken am Laptop keine geringere Seite als die www.bobdylan.com auf gerufen. Erstens, weil ich ein alter Fan von ihm bin, und zweitens, weil ich ihn vor kurzem mal wieder live gesehen habe. In der Regensburger Eissporthalle. Hei, war das ein Fest. Und weil mir gute Freunde dann die Dylan-Website zugesteckt haben, konnte ich das Erlebte erstmals internettechnisch aufarbeiten. Da passte es dann gut ins Bild, dass das Erste, was ich anklickte, ein Post-it-Dylan war, in dem der Meister einen Song mit dem „Things have changed“ zum Vortrag brachte. Er enthält den bemerkenswerten Refrain „People are crazy and times are strange / I'm locked in tight / I'm out of range / I used to care, but things have changed“. Mein Realplayer ächzte zwar und hielt immer wieder erschöpft inne, so dass ich mich an eine jener besoffenen Diashows erinnerte, auf denen im Freundeskreis Ferienerlebnisse verarbeitet werden. Doch so etwas hat auch was Familiäres. Und im Falle des gestreamten Dylan ging es nach gewissen Aufladestockungen immer gleich weiter. Man konnte einige Autofahrten erkennen und irgendein junges Ding und Dylan selbst, und überhaupt ist das Lied sehr schön.
Für die wahren Fans bietet die Seite darüber hinaus so ziemlich alles, was man sich früher mühsam zusammenkaufen und sammeln musste: Vor allem eine Übersicht über all seine Platten und alle Liedtexte. Grandioseste Eigenschaft der Adresse aber ist, dass jedes Lied mit ein paar Takten angespielt werden kann – bei manchen Klassikern in bis zu fünf Variationen (und die Wandlungen machen Dylan ja erst zu Dylan). Für die Ratsuchenden unsere Zeit gibt es dazu noch die „searchable database of Bob Dylan's published lyrics“, eine wunderbare Dylan-Konkordanz, die etwa zum Thema „stream“ mit der Aufforderung „catch the wild fishes that float through the stream“ Mut macht.
Mein Schwager M., dem ich über meine Entdeckungen berichtete, lächelte nur milde. Als großer Freund der amerikanischen Musik steht er schon seit geraumer Zeit mit seinen Lieblingsmusikern auf vertrautem Internetfuß. Von Kimmie Rhodes, deren Seite www.kimmierhodes.com er mir empfahl, hat er sich die eigenhändig von ihr signierte neue CD kommen lassen. Bei Kimmie, die vielleicht als so etwas gelten darf wie ein „wild fish“, habe ich dann gleich noch eine andere Premiere erlebt: Zum ersten Mal habe ich mir eine MP3-Musik abgeholt. Es dauerte über 5 Minuten, den Titelsong ihrer neuen CD, „Rich from the Journey“, runterzuladen. Abgespielt wurde dann aber nur eine Minute. Die Zeile mit den „wild fishes“ stammt übrigens aus dem Lied „Time Passes Slowly“. Er hat's geahnt. THOMAS PAMPUCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen