Schrei dich frei!

Wenn Psychopathen Regie führen und der liebste Horrorfilm das Leben ist. Wes Cravens postmoderne Slasher-Trilogie findet mit „Scream 3“ ihren vorläufigen Abschluss: Dramaturgie als Wiederholungszwang einer traumatisierten Heldin

von ELISABETH BRONFEN

Als Wes Craven vor vier Jahren mit dem ersten „Scream“-Film statt eines herkömmlichen scary movie eine schwarze Komödie vorlegte, gelang ihm ein einzigartiges Cross-over. Die Formel des klassischen Slasher (Schlitzer-)Genres behielt er bei: Auch in der „Scream“-Trilogie, die Sidney Prescotts Entwicklung von einer naiven High-School-Studentin zur erwachsenen Frau nachzeichnet, bringt eine Welle von Mordanschlägen die scheinbar heile Welt einer typischen mittelständischen amerikanischen Kleinstadt ins Wanken. Die Polizei wird eingeschaltet, ist jedoch unfähig, den Notstand zu beheben. Denn der Mörder hat fast übermenschliche Kräfte, weil er auf innigste Weise mit dem Fantasieleben seiner Opfer verschränkt ist: Er verkörpert ihre Albträume. Zudem läuft die Handlung immer auf eine Konfrontation zwischen der jungen Heldin und dem Mörder hinaus. Am Anfang dieser Filme rennt sie noch schreiend vor ihrem Widersacher davon, flüchtet sich in die Kellergewölbe oder Dachstuben der Häuser, die zum Schauplatz seiner Tötungslust geworden sind. Nachdem sie jedoch der brutalen Hinrichtung ihrer Freunde hilflos beigewohnt hat, kommt die bezeichnende Wende. Die Heldin geht direkt auf ihren Mörder zu – und setzt sich dabei immer auch mit einem traumatischen Ereignis der Vergangenheit auseinander, das bislang geheim gehalten wurde.

Dass Wes Craven in seiner „Scream“-Trilogie zwar die Formelhaftigkeit der Slasher-Filme beibehält, gleichzeitig aber auch ironisch mit ihren Regeln spielt, um philosophische Überlegungen zum Verhältnis von filmischer Illusion und Realität in seine Handlung mit einzubauen, hat zu einer Aufwertung dieses landläufig als Trash verpönten Filmgenres geführt. Die Tatsache, dass diese Filme der ritualisierten Erzählform des Volksmärchens ähneln, nutzt Craven zudem, um der moralisch verzwickten Frage nach dem Verhältnis von Gewaltdarstellungen und Gewalthandlungen eine spielerische Komponente hinzuzufügen. Er kann davon ausgehen, dass die Zuschauer des Slasher-Genres die Regeln kennen, nach denen gewisse Figuren sterben und andere überleben werden. Gerade weil das Publikum die Codes verinnerlicht hat, kann es sich mit den Qualen der bedrohten Heldin identifizieren und gleichzeitig das Scherzhafte der exzessiv durchgespielten Gewalt genießen.

Postmoderne Metzelei

Craven greift noch auf einen weiteren Topos der Volksliteratur zurück: das Spiel im Spiel. Die mit schwarzem Cape und einer an Edvard Munchs Schrei erinnernden Maske getarnten Mörder, die in seiner Filmtrilogie hartnäckig und scheinbar unbesiegbar auf ihre Opfer einstechen, tun dies, indem sie sich explizit auf andere scary movies beziehen. Wir haben es mit der postmodernen Freude am Zitat, an der reinen Simulation zu tun. Die Kleinstadt Woodsboro, in der Sidney zur Schule geht, Windsor College, an dem sie im zweiten Teil studiert, und schließlich das Sunrise Studio in Hollywood, wo sie und ihre Freunde im dritten Teil ein letztes Mal tödlich bedroht werden, erweisen sich jeweils als Schauplätze, an denen das wirkliche Leben die Gestalt eines Horrorfilms annimmt.

Im Verlauf dieser Trilogie ist Wes Cravens Heldin wiederholt gezwungen, sich den verdrängten Lügengeschichten ihrer Mutter zu stellen – weshalb die „Scream“-Folgen auch von einem Publikum genossen werden, das sich für diese Subgruppe des Horrorfilms normalerweise nicht besonders interessiert: die psychoanalytisch geschulten Kinogänger.

Wes Craven, ehemaliger Dozent für Sozialkunde an der John Hopkins University in Baltimore, kennt seinen Freud genau. Er nutzt die Regeln des Slasher-Films, um die Geschichte eines psychoanalytischen Prozesses zu verfilmen. Daraus ergibt sich eine zweite Formel: Verdrängtes Material, das über das Auftreten eines Symptoms Aufmerksamkeit auf sich zieht, muss bewusst gemacht und dieses verschlüsselte Wissen mit Hilfe einer Nachstellung erklärt werden. Nur so kann der Widerstand gegen die Verdrängung überwunden und der Wiederholungszwang, der dem verworfenen psychischen Material in entstellter Form zu immer neuen Erscheinungen verhilft, unschädlich gemacht werden.

Tatsächlich kreisen alle drei „Scream“-Filme um den Umstand, dass sich eine traumatische Ursprungsszene als Ursprung des Fantasielebens der Protagonistin entpuppt. Im ersten Film ahnt Sidney, dass etwas an der Vorstellung, sie habe immer ein glückliches Familienleben gehabt, nicht stimmt. Der Doppelmord am ersten Todestag ihrer Mutter kann also durchaus als Wunschvorstellung gelesen werden, bietet er ihr doch die Möglichkeit, sich über den Umweg eines gelebten Albtraums dem gefährlichen Geheimnis der Mutter zu stellen. Der mordende Liebhaber Billy und sein Freund Stew erscheinen in diesem Licht wie ihr Symptom: phantasmische Figuren, die Sidney selbst herbeigerufen hat, damit sie ihr helfen, eine Wahrheit über ihre Mutter zu erfahren, die sie bislang verdrängt hat. Denkt man zudem an die Lust, mit der Sidney sich wiederholt auf das mörderische Spiel ihrer Widersacher einlässt, anstatt den Ort der Gefahr einfach zu verlassen, heißt das zum einen, dass sie als Kennerin der Gattung weiß: Sie wird überleben. Andererseits drängt sich ein weiterer Gedanke auf: So bedrohlich dieses Horror-Szenario auch sein mag, es befriedigt sie mehr als seine Auflösung.

Auch der nächste Teil folgt ganz analog zur Sprache der Psychoanalyse einer Logik des Wiederholungszwangs. Noch ausgiebiger als vorher darf Sidney vor einem Widersacher fliehen und dabei lustvoll schreien. Das schreckliche Ereignis, dem die verschiedenen maskierten Mordgestalten wie einer Urszene entspringen, bleibt jedoch weiterhin verborgen. Am Ende der beiden ersten Filme sind zwar die Täter entdeckt und mit dem Tod bestraft worden. Sidney, die selbst zugibt, ihr Lieblings-Horrorfilm sei ihr Leben, kann jedoch weiterhin davon träumen, dass das tödliche Spiel noch nicht vorbei ist.

Traum und Trauma

Am Anfang von „Scream 3“ lebt sie, unter falschem Namen und fernab von ihren Freunden, in einem Haus mitten im Wald. Aus den Fernsehnachrichten erfährt sie von der Ermordung eines ihrer Freunde und schläft daraufhin auf der Couch ein. Im Traum erscheint ihr die verstorbene Mutter, die mit ihren blutigen Händen an der Fensterscheibe kratzt, als wolle sie eindringen, um Sidney mit sich ins Grab zu ziehen. Kein Zweifel: In dieser abschließenden Folge der Trilogie werden die Rollen des mordenden Paares anders verteilt sein. Der schauerliche Geist Maureen Prescotts, der Sidney unablässig in Gedanken heimsucht, und der maskierte Mörder, der diesmal gnadenlos zuschlägt, werden sich als zwei Seiten einer Münze erweisen.

Zu den medientheoretischen Überlegungen, die „Scream 3“ von anderen Slasher-Filmen unterscheiden, gehört die Tatsache, dass gleichzeitig mit den neuen Mordanschlägen auch die Produktion der dritten Folge von „Stab“ eingesetzt hat: Jene Verfilmung der schrecklichen Ereignisse um Sidney, die bereits in „Scream 2“ die Rahmenhandlung ausmachte. Der in allen drei Filmen durchgespielte Gedanke, die Welt sei eine Bühne für das Horrorfilm-Script eines in der Realität Regie führenden Psychopathen, erfährt damit eine weitere Drehung. In einer zentralen Szene tritt Sidney auf das Set im Sunrise Studio und entdeckt dort das nachgebaute Haus ihrer Kindheit. Gerade hier erfährt sie das gänzliche Kollabieren von gefährlichen Nachtgespinsten und realer Bedrohung: In Gedanken hört sie die Stimmen der Geister, die sie umtreiben, und erblickt gleichzeitig sowohl eine die verstorbene Mutter mimende, weil mit einem blutbefleckten Leinentuch bedeckte Gestalt, wie auch den maskierten Mörder, der sie mit seinem gezückten Messer verfolgt.

Wenn Craven diese Verflüssigung von Einbildung und realer Gewalt auf einem Movie-Set durchspielt, dann um uns vor Augen zu führen: Eine Rückkehr zu den Traumata der Vergangenheit ist nur als nachträgliche Inszenierung möglich. Wenn der maskierte Mörder Sidney dazu zwingt, hinter der scheinbar heilen Oberfläche ihres Alltags eine verborgene Wahrheit über ihre Mutter zu erfahren, so kann dies nur an einem eindeutig als Kulisse markierten Ort geschehen.

Dabei entlarvt Wes Craven jedoch gleichzeitig den blinden Fleck der psychoanalytischen Kur selbst. Auch die von Freud postulierte kathartische Rekonstruktion vergangener Ereignisse trifft nie die ursprüngliche Szene des Traumas, sondern nur deren Nachdrängen: die schrecklichen Geschichten, die sich aus den Szenen psychischer Verletzungen ergeben.

All bets are off

Das Genre des scary movie verbietet zwar, dass die Heldin am Ende stirbt. Doch im Verlauf von „Scream 3“ erklärt der mit dem Fall beauftragte Detektiv unserer Heldin die Regeln der Trilogie mit dem Satz „all bets are off“ – will sagen, dass es in dieser letzten Folge jeden erwischen kann. Womit wir bei der von Wes Craven bewusst eingesetzten Aporie des glücklichen Endes wären. Innerhalb des psychoanalytischen Prozesses ist die erfolgreiche Überwindung des Widerstandes gegen ein traumatisches Wissen nämlich mit einem weiteren Ereignis verschränkt: dem Tod der Heldin eben dieses neurotischen Fantasieszenarios. Auch in der amerikanischen Umgangssprache bedeutet die Redewendung „den Geist aufgeben“ so viel wie sterben. Bis zum Schluss behält Craven seinen ironischen Blick auf der Vorstellung einer geglückten Heilung (seine Liebe für das Slasher-Genre beruht ja gerade auf der Überzeugung , dass es eine ungetrübt heile Welt nicht gibt).

Am Ende von „Scream 3“ sind die Paare, die alle imaginierten und realen Albträume überlebt haben, glücklich vereint. Sie wollen sich an einem lauen Sommernachmittag einen Film ansehen. Sidney zögert noch einen Augenblick in der Küche, bevor sie zu den anderen ins Wohnzimmer geht. Plötzlich öffnet sich die Hintertür, die in den Garten führt. Es könnte ein leichter Windzug sein, aber auch die Rückkehr eines neuen Phantoms. Selbst nach dem scheinbaren Endkampf mit ihrem Widersacher bleibt eine Spur ihres gefährlichen Begehrens. Sidney geht dem geheimen Geräusch nicht nach. Dass sie im Augenblick nicht geneigt ist, dieser Spur zu folgen, bedeutet aber noch lange nicht, dass sie aus ihrem Fantasieleben wirklich getilgt ist.

„Scream 3“. Regie: Wes Craven. Mit: Neve Campbell, David Arquette, Patrick Dempsey, Courteney Cox, Jenny McCarthy u. a. USA 2000, 121 Min.