Bei Kritik Knast

Amnesty international wirft Weißrusslands Regierung massive Repressionen gegen Oppositionelle vor

BERLIN taz ■ Neun Jahre nach der Unabhängigkeit ist Weißrussland weiter auf dem besten Weg, ein würdiger Nachfolger des untergegangenen Sowjetreiches zu werden. Anders gesagt: Wer die Staatsmacht kritisiert, steht schon mit einem Bein im Knast. In einem von amnesty international (ai) gestern in Bonn vorgelegten Bericht wirft die Menschenrechtsorganisation Weißrusslands Regierung harte Repressionen gegen Oppositionelle vor.

Zum Repertoire des autokratischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko gehören laut ai Misshandlungen, willkürliche Festnahmen sowie systematische Einschüchterungen von Menschenrechtlern, Akademikern und unabhängigen Journalisten. Wegen mangelnder Unabhängigkeit des Rechtssystems entgingen die Verantwortlichen überdies einer Bestrafung.

1999 sei für die Opposition ein besonders dramatisches Jahr gewesen. Einen negativen Höhepunkt stelle das „Verschwinden“ mehrerer Oppositioneller, wie des Leiters des inoffiziellen Wahlausschusses, Viktor Gontschar, und des Ex-Innenministers, Juri Sacharenko, dar.

Doch auch dieses Jahr dürfte für Kritiker des weißrussischen Präsidenten kaum besser werden. Vor zwei Tagen verurteilte ein Minsker Gericht den Chef der Sozialdemokratischen Partei, Mikolai Statkevitsch, zu zwei, sowie den ehemaligen Abgeordneten des Obersten Sowjets, Valeri Schukin, zu einem Jahr Haft auf Bewährung. Beiden wird vorgeworfen, den so genannten Friedensmarsch im vergangenen Oktober mit vorbereitet zu haben. Dabei war es in Minsk zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen. Während ihrer Bewährung dürfen Statkewitsch und Schukin Minsk nicht verlassen und bei den für Oktober geplanten Parlamentswahlen nicht antreten.

Bei Schukin dürfte das jüngste Urteil kaum den gewünschten Disziplinierungseffekt haben. Mehrmals wurde der Kommunist, der zu den erbittertsten Gegnern von Lukaschenko gehört und bei keiner Kundgebung fehlt, von Sicherheitskräften misshandelt. Bei einer Demonstration in Minsk schleiften ihn Milizionäre an seinem langen Bart mehrere Meter die Straße entlang.

Derweil bemüht sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) weiter darum, einen Dialog zwischen Regierung und Opposition zustande zu bringen und minimale demokratische Standards bei den Wahlen zu sichern. Doch die Chancen schwinden. Bislang hat sich Lukaschenko geweigert, oppositionellen politischen Parteien und unabhängigen gesellschaftlichen Organisationen, wie von diesen gefordert, einen Anteil von 30 Prozent an der Besetzung der Wahlkommissionen zu garantieren. Er wird wissen, warum. BARBARA OERTEL