Durch Klang leben

■ Wie man Titel in den Gelben Seiten findet und Gefühle ausdrückt, ohne zu reden: Ein Interview mit Veit Helmer

Der 32-jährige Veit Helmer fiel bisher durch seine originellen Kurzfilme auf. Bekannt wurden Der Fensterputzer (1993) gedreht am Berliner Fernsehturm, Tour Eiffel (1994) und vor allem Surprise (1995), der mit 42 Preisen auf 130 Festivals ausgezeichnet wurde. Schon mit 14 drehte Helmer seinen ersten Film mit einer Super 8 Kamera. Als ihn Ende der 80er Jahre die Deutsche Film- und Fernsehakademie in Berlin ablehnte, weil er zu jung war, ging Veit Helmer noch vor der Wende für ein Jahr nach Ost-Berlin an die Hochchule für Schauspielkunst Ernst Busch. Nun drehte er in Bulgarien für nur 1,7 Millionen DM seinen ersten langen Spielfilm Tuvalu um ein verfallenes Schwimmbad und seine Bewohner. Der Film schaffte es im Vorjahr fast nach Cannes, wurde international ein großer Festivalerfolg und verkaufte sich bisher in mehr als 30 Länder. Seit dieser Woche wird er auch in Hamburg gezeigt.

taz hamburg: Ärgert Sie das wenn man Ihren Film als naiv bezeichnet, oder stehen Sie dazu ?

Veit Helmer: Wenn man versucht, Geschichten mit Bildern zu erzählen, muss man die Bilder sehr deutlich machen. Ich denke der Film ist etwas für große, erwachsene Kinder und natürlich auch für kleine Kinder. Da kommt eine gewisse Schlichtheit zum tragen. Er ist manchmal etwas melodramatisch. Sicher kann man den Vorwurf der Naivität erheben, aber ich denke, dass der Film klarer wird, ohne Verzierungen. Mir gefällt Schönheit durch Klarheit mehr, als Schönheit durch viele kleine Schnörkel.

Der Film lehnt sich bewusst an eine gewisse Stummfilmästhetik an. Ist Tuvalu moderner Stummfilm?

Mein Sounddesigner würde jeden killen, der sagt Tuvalu sei ein Stummfilm, weil wir monatelang am Sound gebastelt haben. Die Schauspieler wurden zur Synchronisation eingeflogen. Wir nahmen mit ihnen Schluchzer, Atmer und Stummlaute auf. Der Film lebt durch seinen Klang. Wenn im Kino nicht permanent geredet wird, hat man die Möglichkeit sehr viel am Ton zu arbeiten. In dem Moment, wo Schauspieler reden, braucht man auch kein Klangdesign.

Warum begaben Sie sich für die Besetzung der Hauptrollen auf eine Weltreise?

Nachdem meine Autorin und ich beschlossen hatten, keinen Dialog zu verwenden, konnten wir Schauspieler aus allen Ländern der Welt nehmen. Wir suchten zuerst in den Nachbarländern, dann bin ich immer weiter gereist. Ich hatte am Ende 1100 Schauspieler auf Video, war in 12 Ländern und 14 Städten. Von Amerika bis Rußland, von Is-tanbul bis London, Paris, Prag. Überall habe ich 40 bis 50 Schauspieler getroffen, mit denen auch gearbeitet und Szenen einstudiert. Die Herausforderung war natürlich groß, weil die Schauspieler spielen und Gefühle ausdrücken müssen, ohne zu reden. Das können nicht viele.

Wie sind denn die Dreharbeiten in Bulgarien verlaufen? Man kann sich vorstellen, das war nicht immer problemlos.

Als ich mich dafür entschieden habe in Sofia zu drehen, haben mir viele Leute gesagt, das kannst Du nicht machen. Du wirst beklaut, die Leute sind faul und die Mafia wird dir das Hemd vom Leibe reißen. Das habe ich einfach ignoriert. Ich habe meine eigenen Erfahrungen gemacht. Ich bin dort hingezogen, hab dort mehrere Monate gelebt. Am Ende fast ein Jahr, mit Schnitt und Dreharbeiten. Am Ende ist das Fazit eigentlich, dass Sofia ein wunderschöner Drehort ist. Ich wurde überhaupt nicht beklaut, ein Kabel ist verschwunden, was bestimmt noch im Schwimmbad liegt, die Mafia habe ich nicht kennengelernt und wir haben sehr hart gearbeitet.

Wofür steht Tuvalu? Ist es ein Land, von dem jeder träumt und wo man nie ankommt ?

Ich bin über den Namen „Tuvalu“ in den „Gelben Seiten“ in Hamburg gestolpert. Ich habe dann einen Radiobeitrag für den NDR gemacht und Leute auf der Straße nach „Tuvalu“ befragt. Die meinten, dass sei ein Alkohol-Mixgetränk, oder eine neue Band oder ein Club an der Reeperbahn. Als ich Jahre später einen Begriff für das suchte, was sich jeder im Leben erhofft, ist mir „Tuvalu“ wieder eingefallen.

Interview: Jörg Taszman

täglich 20.15 und 22.15 Uhr, von heute bis Sonntag auch 17.45, Montag bis Mittwoch auch 15.15 Uhr, Abaton, Großes Kino, Allende-Platz 3