Erstes Abi an jüdischer Schule

Durchschnittsnote bei Deutschlandpremiere: 2,5. Gut die Hälfte der 19 Abiturienten sind Kinder russischer Einwanderer. Abifeier mit Bundestagspräsident Thierse am Sonntag

Erstmals seit dem Holocaust haben in Deutschland junge Menschen an einem jüdischen Gymnasium ihr Abitur abgelegt. In der Großen Hamburger Straße in Mitte erhielten 19 Juden und Nichtjuden ihre Reifeprüfung. Der Abiturdurchschnitt lag bei 2,5, erklärte der Direktor der Jüdischen Oberschule, Uwe Mull.

Gut die Hälfte des jetzigen Abiturjahrgangs sind Kinder russischer Einwanderer. An der Privatschule werden 250 Schüler von 35 Lehrern unterrichtet. Etwa 40 Prozent der Schüler haben Russisch als Muttersprache. In der zweigliedrigen Schule mit einem Gymnasial- und einem Realschulzweig ist der Anteil der Schüler russischer Herkunft unter den Realschülern am höchsten. Etwa 90 Prozent haben als Kinder zuerst Russisch gelernt. Die Schule wurde 1993 gegründet, nachdem der Zustrom russischer Zuwanderer die Mitgliederzahl der Gemeinde um 6.000 auf 12.000 verdoppelt hatte.

Finanziert wird die Schule von dem Staat, der Gemeinde und dem Schulgeld der Eltern. Das liegt regulär bei 480 Mark im Monat, da – wie bei allen Privatschulen – der Staat nur einen Teil der Kosten für die Lehrer übernimmt. Viele Eltern zahlen nicht den Normalsatz des Schulgeldes. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde können Härtefälle geltend machen. Die Schüler erhalten eine Ganztagsbetreuung und ein koscheres Mittagsmahl.

Etwa 40 Prozent der Schülerschaft sind Nichtjuden – rund 20 Prozent der Schüler kommen aus einem christlichen Elternhaus. Hebräisch und jüdische Religion sind bis zur Oberschule Pflichtfächer. Es gibt jüdische Morgengebete und zweimal in der Woche auch die Möglichkeit zu einem Gottesdienstbesuch.

Ein jüdisches Schulwesen gibt es in Berlin schon seit 1788. Schon damals waren die Lehrer Juden und Christen. Das heutige Schulhaus stammt aus dem Jahr 1860. Trotz der Machtübernahme der Nazis 1933 konnte die Jüdische Gemeinde im heutigen Gebäude noch bis 1942 einen Schulbetrieb aufrechterhalten. Später benutzten die Nazis den Bau als Sammellager vor der Deportation der Juden in die Vernichtungslager des Ostens. Ab 1960 war in dem vierstöckigen Bau eine Berufsschule untergebracht. Die Schule ergänzt das jüdische Schulsystem in der Hauptstadt, zu dem auch eine Jüdische Grundschule gehört. Die Oberschule ist von einem etwa drei Meter hohen Sicherheitszaun umgeben. Bei der Abitursfeier am Sonntag werden Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Michel Friedman vom Zentralrat der Juden und Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, erwartet.PHILIPP GESSLER