lärmschutzmaßnahmen und kollateralschäden von WIGLAF DROSTE
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Nachrichten über erfolgreiche Lärmschutzmaßnahmen sind immer erfreulich: Die Toten Hosen sagten ihre Tournee ab. Das menschliche Ohr, so weit dazu fähig, darf ein paar Monate tief durchatmen. Die Stinkemänner haben Pause – nicht aus Einsicht in ihre Vergehen gegen die Menschlichkeit zwar, sondern bloß aus Beschränktheit: Campino, Vornewegschreihals der Band, weiß nicht, was Singen ist, glaubt aber zuversichtlich, es hätte mit Sport zu tun. Er brört und möhrt herum, macht dazu öffentliches Konditionstraining und findet diese Verneinung eines Konzertes knorke.

So wurde er zum Kollateralschaden seiner eigenen Bundeswehrmusik. Der Fitling zog sich eine ihm angemessene Verletzung zu, eine Fußballermalesse. So stullino ist Campino, dass er zwar stets ohne Stimm-, aber nie ohne Kreuzband auftreten würde. Ein solches Schicksal erzeugt viel Mitleid; es erinnert an einen Hund, der traurig ist, weil er nicht Stöckchen holen und Männchen machen darf. Die Toten Hosen riefen auch sofort ihre Anhänger per E-Mail dazu auf, Genesungswünsche an Campino zu senden, damit er nicht mit sich alleine sein muss.

Der berufsmäßige Rucki-Zucki Campino indes will die ihm geschenkte Gelegenheit zur Stille nicht nutzen. Für „Eins Live“, das Penetranteste, das der WDR je ersann, hinkt er auf der Fußball-EM herum und macht den Radioten. In seinen Brüllpausen tröstet er sich wehmütig damit, wie ihn MAX noch im März zum „König von Deutschland“ krönte – eine Auszeichnung, die außer ihm auch Hans-Olaf Henkel und die Frisöre Gerhard Meir und Udo Walz erhielten. Als „Vision“ schwebte Campino vor, den „Tatbestand der Ruhestörung aus dem Gesetz zu entfernen“ – klar, wer solchen LERM macht, der muss das fordern und auch sonst das Kartoffelsalatflair einer Juso-Fete verströmen: „Bloß Joschka Fischer dürfte Außenminister bleiben“, beschied Campino. „Wer weiß, vielleicht bewährt sich ja mein Außenminister. Dann kröne ich den zum neuen König.“ Und fügte, twinkel-twinkel, hinzu: „Aber nur, wenn du endlich wieder Turnschuhe trägst, Joschka!“ Ist es die Strafe für zu doofes Duzen, dass die Belästigung Campino für ein paar Monate von ihren Hauptlärmquellen abgeschnitten ist? Wer sich von der Idee der Gerechtigkeit noch nicht vollends verabschiedet hat, muss das hoffen. Bei der EM war Campino gut aufgehoben. Er konnte dort Deutsche treffen, die so Fußball spielen, wie er Musik macht. Um die ist es jetzt so wohltuend ruhig geworden wie um ihre zwangsfixierten Anhänger – ästhetikferne Existenzen, die ihren Nationalismus so gern öffentlich als „gesund“ bezeichnen, weil sie genau das auch sind: unheilbar gesund.

Nach der Niederlage gegen England rief ich in die von keinem Geheul und Gehupe verunzierte Nacht: „Landsleute, warum seid ihr nicht immer so angenehm still?“ Die Antwort, die sie gaben, war die beste, zu der sie fähig sind: keine. Und die letzte Lärmschutzmaßnahme gegen laute, aufdringliche Deutsche besorgten dann die Portugiesen mit ihrem 3:0.

Obrigado, jao jao.