Doppelgucken in Stereo

Zapp und zappzerapp: Parallelisierter Fußball vor der Glotze ist ganz anders als im richtigen Leben. Wo gerade noch Rubi aus dem Häuschen geriet, versprüht plötzlich Gero Bisanz Binsenweisheiten

von BERND MÜLLENDER

Nie war so viel Fußball wie jetzt. Genauer gesagt: gleichzeitig so viel Fußball. Nun sind wir ja fast alle zeitgeisthörig manische Zapper. Welch Wonne da der letzte Vorrundenspieltag der vier EM-Gruppen, dessen Begegnungen jeweils gleichzeitig ausgetragen und somit übertragen werden. Zweimal 90 Minuten am Stück.

Also mal wieder ran an die Glotze, ans Parallelgucken, im Ersten und beim neuen Fußballaushilfssender 3sat. Mit hochinteressanten Effekten. Den dramatischsten am Mittwochabend gleich vorweg, Konfusion maximal bei 3sat: Eben noch hatten sie ihr 0:0 zwischen Norwegen und Slowenien abgenudelt, stellten das Weiterkommen der Skandinavier fest und eine hibbelige Moderatorin erging sich mit Gero Bisanz in Interviewversuchen. Gleichzeitig läuft das andere Spiel noch, Jugoslawien führt 3:2. Elfmeter für Spanien. Zapp. Drin. Zapp. Labern. Zapp. Spiel läuft immer noch. Zapp. Blabla. Zapp. 4:3. Spanier wie verzückt, verständlich. Zapp. Das Ergebnis merken sie bei 3sat. Aha. Und: „Die Tabelle, äh, Spanien also weiter und, äh, wir sehen jetzt nichts, äh, und Norwegen. Äh. Also wohl doch Jugoslawien, oder?“ Nur: Was ist mit den sicher schier entsetzten Norwegern unten vor ihrem Studio? Nix. Stotter. Sendeende.

Zurück zum Anfang: In der ARD parliert Gerd Rubenbauer durch den Abend. Oben im Bild ist „Slo 0:0 Nor“ eingeblendet. Zapp. Wer das 3sat-Spiel guckt, bekommt komischerweise kein Spanier-Ergebnis eingeblendet. Zapp. „Abseits des Balles“, sagt Rubi. Hmmm. Zapp. „Schon wieder eine Chance für Slowenien.“ Mist, was verpasst. Zapp. Treffmoment, prima: Tor für die Jugos. Zapp. „Wieder Freistoß für die Slowenen.“ Zapp. Zapp. Zapp. Vier verschiedene Trikotagen, dauernd Gesichter in groß. Wer spielt wo? Konfusion.

Wie anders ist Fußball hier als in der Realität: immer Fetzen und Fratzen in Großaufnahme. Vom Spiel kriegt man nix mit. Halbzeit. Puuuh. Gero Bisanz analysiert: „Das Spiel ist irgendwie für die Zuschauer mit Spannung geladen.“ Ja, der Mann ist vom DFB, das hört man gleich. „Die Norweger wollen durch die Enge der Räume den Raum eng machen.“ Na denn.

Anpfiff hier, Anpfiff da. Zappzapp. Rubi: „Gelbe Karten sind ja gestrichen fürs Halbfinale.“ Zapp. „Zweite Gelbe; das hieße Sperre im Viertelfinale.“ Zapp. „Fair“, sagt Rubi. Foul, sagt Schiri. Zapp. Spieler liegend, schon wieder. Keiner sagt was. Zapp und Zappzerapp.

Zapp. Zeitlupenwiederholung. „Glückwunsch an die Bundesliga“, ruft Rubi. Sensation: Ist Deutschland doch weiter? Nein, Komljenovic (Kaiserslautern) hat getroffen. 2:3. Zapp. Der Zwischenstand ist angekommen. Reporter: „Dann wäre jetzt Jugoslawien weiter; Spanien, Norwegen und Slowenien ausgeschieden.“ Bin ich jetzt durchgeknallt oder die?

Aber bitte, das ist ja nur eine Vorübung. Ab August wird’s auf Premiere noch viel wilder zugehen. Bundesligaspiele zu dritt, zu viert, parallel-live. Frohes Bezahlen, frohes Zappen. Dann gibt’s Häppchen- und Fleischwolfkick nach Gusto. Jeder sein eigener Zapp-Direktor.

Noch grandioser war der Montagabend: Türkei – Belgien und parallel Italien – Schweden. Es war heiß und Deutschlands Fußgängerzonen-Cafés mit Glotzen zugestellt. Vor der Kneipe meiner Wahl stand ein TV, wo auf Eurosport das Belgien-Spiel lief. Wir guckten beiläufig. Zwanzig Meter weiter das Dorado der neuen Gucker-Generation: eine Großbildleinwand mit dem gleichen Spiel (aber im ZDF übertragen) und direkt daneben ein kleineres Gerät, wo über 3sat Italien – Schweden lief.

Schon diese Doppelglotze war eine Freude. Statt zappen immer schön hin und her gucken – besser als daheim die Fernbedienung ausleiern. Rückweg zur Eurosport-Kneipe, das Bier kommt. Plötzlich wilde Tor-Schreie der Türken von oben. Häh? Bei uns springt im gleichen Moment Hakan Sükür erst hoch. Trifft aber wie oben.

Irgendwie falsch geguckt? Dann das zweite türkische Tor. Bei uns läuft die Kombination noch, da rasten sie oben schon aus. Die sind echt zwei, vielleicht drei Sekunden früher. Grotesk, aber es ist so. Entweder ist das ZDF seiner Zeit voraus – oder?

Anruf bei Eurosport: „Ihre Spiele sind nicht live, haha, Sie Pfuscher!“ Den Verzögerungseffekt kann sich auch der Sprecher nicht erklären. Das sei ihm „noch nie aufgefallen“; folglich: „Erklärungen weiß ich nicht.“ Wir einigen uns auf „technische Gründe“, wahrscheinlich kommen irgendwelche Signale verspätet über die Satelliten.

Der Zuschauer will die totale Gleichzeitigkeit. Die Technik schafft es nicht. Man sieht: Fußball steckt immer noch voller Wunder. Das ist irgendwie tröstlich. Zapp.