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: HELMUT HÖGE über schwarze Schönheit

Urst schau ist jetzt cool

Früher hatte „cool“ immer die Bedeutung von ängstlich und zurückhaltend, aber in den Dreißigerjahren drehten die US-Schwarzen das Wort um. Cool sein war fortan aufregend und interessant. Erst ab dieser Zeit besaßen die Schwarzen – nebenbei bemerkt – überhaupt Geld. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Wort durch die (schwarzen) Jazzmusiker weiter popularisiert: Cool war nun modisch up to date und schwer angesagt. Ursprünglich hatten Chaucer, Shakespeare und Tennyson „cool“ benutzt im Sinne von „nicht durch Leidenschaften und Emotionen erhitzt“. Diese Bedeutung galt auch weiterhin – im schwarzen Kontext: Cool down, man – heißt: Krieg dich wieder ein. Taking it cool, play it cool – bedeutet, schon seit 1841: etwas leicht – easy – nehmen, also relaxed.

Dass „cool“ heute weltweit vor allem von Jugendlichen verwendet wird, ist ebenfalls den – aufs Entertainment-Gleis abgedrängten – US-Schwarzen zu verdanken. Sich den Weißen in der Stadt unterlegen fühlend und diskriminiert, zudem wehrlos, kultivierten sie eine Haltung, einen Auftritt, den wir in Deutschland nach 1945 mit den Amis (als Cowboy-Soldaten) generell identifizierten: lässig. Noch 1992 sagte ein Treuhand-Manager zu vier ostdeutschen Betriebsräten, die er in seinem Büro mit den Füßen auf dem Schreibtisch empfing: „Das kennt ihr wohl noch nicht, diesen lockeren Stil, das ist die neue amerikanische Lässigkeit!“ Cool war sein Verhalten jedoch nicht, denn als die Betriebsräte ihn ihrerseits duzten, wurde er sofort zickig.

Die schwarze Coolness kann man mit der (Kriegs-)List vergleichen. Für Clausewitz war die List bereits eine Art Witz bzw. Gewitztheit: „So wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit Handlungen.“ Es ist ein „Trick“ im Auftreten gegenüber möglicherweise feindlich gesonnenen Fremden. Im Zusammenhang dieser schwarzen Coolness entstand daraus zuletzt auch noch ein juvenil-superlativisches Adverb mit internationaler Gültigkeit: Alles und nichts ist nun cool, im Sinne von super, geil, affengeil, krass, voll krass, schau, urst schau, toll, prima, aufregend, hip, angesagt. Mehr oder weniger alle neuen Berlin-Romane bestehen darin, die Welt in cool und uncool aufzuteilen, vor allem die Warenwelt. Das heißt zu bestimmen, welche Gadgets in und welche out sind. Im Endeffekt und „richtig“ angewandt verleihen sie dem Träger Coolness: Er oder sie weiß, was gerade Sache ist. Sie haben mithin „Cooltur“, was wiederum auf eine Wort-Verballhornung von hippen Werbern hinweist.

Mir entfährt das Wort „cool“ meist spontan im Zusammenhang mit jemandem, der eine schwierige Situation überraschend gut meistert, indem er Contenance bewahrt, Schlagfertigkeit beweist. Cool ist hierbei anerkennend gemeint, im Sinne von: Das hätte ich so wohl nicht geschafft. Zum Beispiel wenn jemand bei einer Fahrkartenkontrolle in der U-Bahn locker ein altes Ticket vorzeigt – und damit durchkommt oder mit einer sauguten Ausrede.

Übrigens sind Frauen statistisch gesehen cooler als Männer. Letztere verausgaben meist zu viel Kraft für die Pose, wobei sie zwischen Nichtigkeitsgefühlen und Größenwahn schwanken. Während also die Jungs einer Kreuzberger Realschulklasse wochenlang von Kaufhaus-Diebstählen, die sie demnächst coupmäßig vorhatten, redeten, war dies bei den Mädchen schon seit Jahren gang und gäbe – nur dass sie nie laut darüber sprachen: cool.

Es gibt eine Zigarettenmarke mit Menthol, die vor allem mit Schwarzen wirbt: „Kool“. Der Durchbruch kam mit Naomi Campbell. Jetzt sieht man immer öfter an irgendwelchen Ecken „coole Typen“ rumstehen und abhängen, zum Beispiel im U-Bahnhof Kottbusser Tor: misstrauisch beäugt von den Sicherheitskräften. Wobei beide Seiten sich bemühen, Coolness zu demonstrieren. Irgendwann wird es dort dennoch rappeln. Offen bleibt dabei: Was war zuerst da – die Henne oder das Ei?