Aus Angst und Vernunft

Die beiden größten demokratisch orientierten Parteien Russlands tun sich zumsammen. Doch die beiden Parteiführer Jawlinski und Tschubais sind sich alles andere als grün

MOSKAU taz ■ Noch vor wenigen Monaten wäre es eine Sensation gewesen. Die beiden größten demokratisch orientierten Parteien Russlands, die Union der Rechtskräfte (UdR) und die Jabloko-Partei, legten ihre jahrelangen Händel bei und unterzeichneten eine Vereinbarung, in der sie sich verpflichten, künftig zusammenzuarbeiten. Bereits ab September wollen beide Organisationen nur noch mit gemeinsamen Kandidaten bei Regional- und Lokalwahlen antreten. Ein Maßnahmenkatalog sieht überdies vor, langfristig auch die Parteiorganisationen landesweit zu fusionieren. Sollte das gelingen, könnten die demokratisch gesinnteren Kräfte bei den Dumawahlen 2003 als ein geschlossener Block auftreten.

Die Bereitschaft zur Allianz verrät jedoch eher die derzeitige Schwäche des demokratischen Spektrums in Moskau. Bei den Dumawahlen im Dezember 1999 erlangten Jabloko und die UDR mit 53 von 454 kaum mehr als ein Zehntel der Sitze. Die seit 1993 kontinuierlich schwindende Zustimmung bekam auch Jablokos Frontmann Grigorij Jawlinski im März anlässlich der Präsidentschaftswahlen zu spüren. Mit fünf Prozent landete er hinter Kremlchef Wladimir Putin und dem Kommunisten Gennadi Sjuganow weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Jawlinskis bisherige Strategie, getrennt zu marschieren und demokratische Fundamentalopposition zu üben, zahlt sich nicht mehr aus.

Angst und Vernunft diktieren daher den Schulterschluss. Wladimir Lukin, Jabloko-Mitbegründer und stellvertretender Dumavorsitzender, kommentierte den Friedensschluss: „Wir wehren uns gegen die Verwandlung des Staates in eine Gesellschaft von Zinnsoldaten.“ Der Versuch, den unabhängigen Medienkonzern Media-Most gleichzuschalten, hat dem Zusammenschluss zusätzliches Unterfutter geliefert.

Vor zwei Monaten bei den Gouverneurswahlen in St. Petersburg schickten beide Organisationen erstmals einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen. Es sind weniger ideologische oder programmatische Unterschiede, die das frühere Verhältnis belasten. Entscheidend war die Frage: Wie stehen wir zur Macht? Jawlinski zelebrierte die Rolle des Gewissens der Nation, indem er sich von jeder Regierungsbeteiligung fernhielt. Demgegenüber stellte die Partei „Wahl Russland“ mit Jegor Gaidar und Anatoli Tschubais die Reformarchitekten der ersten Stunde, die für die umstrittene Privatisierungspolitik verantwortlich zeichneten. Obgleich kühl kalkulierende Strategen, konnten Jawlinski und Tschubais ihren persönlichen Hass nicht einmal vor der Kamera bändigen. Differenzen im Umgang mit der Macht bestehen weiterhin. Teile der UdR unterstützten bei den Präsidentschaftswahlen Wladimir Putin, gegen dessen Politik man sich nun zusammentut.

KLAUS-HELGE DONATH