Höflicher Wahlkampf in Japan

Noch nie war ein Kandidat für das Amt des Premiers vor einer Wahl so unpopulär wie der viel kritisierte Regierungschef Yoshiro Mori. Dennoch wird er im Amt bleiben, denn den Wahlsieg seiner Partei am Sonntag kann er nicht verhindern

aus Peking GEORG BLUME

Yoshiro Mori hat alles versucht, die Wahl zu verlieren. Der Premierminister riet Bürgern, die bisher kein Interesse an den Parlamentswahlen zeigten, den bevorstehenden Wahlsonntag einfach zu verschlafen. Vom Weltwirtschaftsgipfel, der im Juli in Japan auf der Südinsel Okinawa stattfindet, sprach Mori als „Weltausstellung“. Im Parlament hatte sich der Premier zuvor geweigert, die japanische Invasion in China während des Zweiten Weltkrieges als solche zu bezeichnen. Stattdessen nannte er Japan „ein Land der Götter mit dem Kaiser im Zentrum“.

So viel dummdreister Populismus kommt selbst im konservativsten Japan nicht an. Die Japaner witterten Inkompetenz. Moris Sympathiewerte in der Bevölkerung fielen in den vergangenen Wochen um über zwanzig Prozent. Mori, der nach dem Gehirnschlag seines Vorgängers Keizo Obuchi Anfang April eher zufällig ins erste Glied geraten war, ist kurz vor der Wahl so unpopulär wie vor ihm noch kein Regierungschef der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Und doch hat der ganze Aufruhr um Mori wenig politische Bedeutung: Denn den Wahlsieg seiner Partei kann der Premier nicht verhindern.

Seit 1955 regiert die LDP mit nur elf Monaten Unterbrechung das Inselreich. Zwar wird Japans ewige Regierungspartei voraussichtlich ihre absolute Stimmenmehrheit im Tokioter Unterhaus, der entscheidenden Parlamentskammer, verlieren. Statt bisher 267 von 500 Sitzen winken ihr laut den Wahlprognosen noch etwa 220 von 480 Sitzen im verkleinerten Unterhaus. Doch scheint die amtierende Regierungskoalition der LDP mit der buddhistischen Komei-Partei dadurch in keiner Weise gefährdet. Allenfalls langfristig kann sich die oppositionelle Demokratische Partei Japans (DPJ) Hoffnung machen: Ihre Abgeordnetenzahl könnte von derzeit 95 auf bis zu 150 Sitze im neuen Unterhaus anwachsen. Damit entstünde seit dem Niedergang der Sozialdemokraten und dem Parteienchaos der Neunzigerjahre wieder eine ernsthafte Opposition. Doch ihr Weg ist noch weit.

Wie weit, das zeigte Moris Auftreten im Wahlkampf. Mit Mühe schwang sich der schwergewichtige ehemalige Rugbyspieler vor ein paar Tagen die Aluminiumleiter eines Toyota-Minibusses empor, um vom Dach des Wahlkampfwagens der LDP-Ortsgruppe im Tokioter Vorort Funabashi eine Rede zu halten. In der sengenden Mittagshitze macht Mori ausgiebig von seinem weißblauen Schweißtuch Gebrauch, während vor ihm die Ordner der Partei alles tun, damit der Premier die Leute auf ihrem Weg zum Bahnhof nicht stört. So wie sich der Bürgersteig füllt, wird für die Nachkommenden eine Gasse gebahnt, durch die eine Mutter ihr mit zwei Kleinkindern beladenes Fahrrad ohne Mühe manövriert. In der Hilfsbereitschaft der LDP-Wahlhelfer offenbart sich das politische Selbstbewusstsein der Partei: Keine andere Kraft ist vor Ort so gut wie sie. Und da sie die Wahl nicht verlieren kann, ist es egal, wer stehenbleibt und dem Premier zuhört. Die LDP ist schließlich eine Partei und kein Ein-Mann-Betrieb.

Schon tauchen Gerüchte über Moris vorzeitigen Rücktritt auf. Allerdings wird es der Wahlausgang am Sonntag der Partei vermutlich nicht einfacher machen, ihren unbeliebten Frontmann zu stürzen. So viel demokratischen Anstand hat die LDP, einen gerade gewählten Regierungschef nicht im Nu wieder auszutauschen. Gewöhnlich gewährt sie ihren Vorsitzenden, die zugleich auch immer Premierminister sind, zwei Jahre Amtszeit. Mit dem Dicken wird deshalb noch zu rechnen sein.

Für den deutschen Beobachter besitzt Mori Ähnlichkeiten mit dem Kohl der Achtzigerjahre und seinem anfänglichen Ungeschick als Bundeskanzler. So legen seine revisionistischen Äußerungen hinsichtlich Krieg und Kaiser keinen neuen Rechtsruck nahe. Was Mori sagt, gehört zu den Unbeholfenheiten eines Politikers, der versucht, in seiner neuen Rolle nicht nur das vorgekaute Kauderwelsch der Bürokraten wiederzugeben, sondern Stammtischweisheiten seiner Partei salonfähig zu machen. Ungewöhnlich ist, dass der Politiker trotz der vehementen Kritik an ihm im Wahlkampf weiter ohne Manuskript spricht. Und obwohl er sich derzeit alle Medien vom Halse hält, ist er zwischen zwei Wahlkampfstationen in der Vorstadtbahn zum Schwatz mit der taz gerne bereit. Jedenfalls so lange, bis er einer alten Dame seinen Sitzplatz anbietet.