Wartephase im Hinterhof

Vor fünf Jahren machten sich ein paar hundert Frauen auf, die patriarchalen Politikstrukturen durch Gründung einer eigenen Partei aufzubrechen. Am letzten Wochende feierte die „Feministische Partei DIE FRAUEN“ in Berlin Geburtstag. Oder sie versuchte es zumindest

von VERENA KERN

Das Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin-Prenzlauer Berg ist ein schmuckes Gebäude. Die Fassade leuchtet weiß, die Briefkästen sind blank poliert, die Höfe verraten die gärtnernde Hand. Dass hier auch die Partei ihr Bundesbüro hat, die beansprucht, für 52 Prozent der Bevölkerung zu sprechen, ist von außen nicht zu erkennen. Kein Schild an der Straße, an den Briefkästen, an den Klingeln. Nur im zweiten Hof ist auf dem spiegelnden Stahl der Klingelanlage ein kaum postkartengroßer und schon halb abgerissener Aufkleber angebracht mit dem Hinweis „Feministische Partei DIE FRAUEN, Zi. 118“. Die Frauenpartei ist leicht zu übersehen. Und sie tut auch nicht viel, um das zu ändern.

An diesem Samstag Mitte Juni ist das anders. „Die Partei feiert ihr fünfjähriges Bestehen, medienwirksam“, wie sie hofft. Reden werden gehalten, eine Ausstellung über die Partei wird eröffnet, feministische Kunst zum Vortrag gebracht. Und der Weg in den zweiten Hof ist gewissenhaft ausgeschildert. Handgemalte Pfeile auf Plakaten, die noch von der letzten Bundestagswahl stammen, führen in den hauseigenen Seminarraum. „Das Jahrtausend geht – DIE FRAUEN kommen“ steht auf den Plakaten. Für etwas Neues hat das Geld bislang gefehlt.

Gekommen sind lediglich zwanzig Frauen. Rund ein Drittel von ihnen gehört zum Führungskreis der Partei, der siebenköpfigen Bundessprecherinnenrunde, BSR abgekürzt. Für sie ist es ein Pflichttermin. Was ist mit den anderen „Mitfrauen“? So heißt die offizielle Anrede der Parteimitglieder – weil Frauen, wie immer wieder, nicht ohne Genuss erläutert wird, bekanntlich beim besten Willen kein Glied haben. Immerhin fast tausend Mitfrauen hat die Partei bundesweit. Alle waren informiert, viele persönlich eingeladen. Und nun das.

Wer einer Partei angehört, deren Wahlerfolge sich nicht in Prozent bemessen, sondern in Promille, ist mageren Zuspruch gewöhnt. Aber magerer interner Zuspruch schmerzt doppelt. Müde Enttäuschung steht im Raum. Von einer Feier ist die Veranstaltung so weit entfernt wie die Frauenpartei mit 0,1 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 98 von der Fünfprozenthürde. Und erst da würde Breitenwirkung einsetzen und die Wahlkampfkostenerstattung.

Verloren sitzen die Frauen in dem großen, hellen Saal. Vorn steht ein kleiner Rednertisch mit zwei Mikrofonen und einem schmalen Strauß lila Blumen in einer lila Vase. Dahinter die Ausstellung, Schautafeln mit Parteischriften und Fotos aus den letzten fünf Jahren, die die kurze Parteigeschichte hochsoziologisch in drei Phasen aufteilen: die Forming-, die Storming- und die Normingphase. „Jetzt“, erklärt Bundessprecherin Anja Klauk, 36, später stolz, „kommen wir in die Performingphase.“

Derweil befindet sich die Geburtstagsfeier noch in der Wartephase. Die Frauen hoffen auf Nachzüglerinnen, die auf irgendeiner Autobahn in irgendeinem Stau stecken geblieben sein könnten. „Ja“, seufzt Waltraud Pomper, Bundessprecherin aus Bayern, „wir haben wieder mal eine Durststrecke.“ Sofort fängt sich die 57-jährige pensionierte Studienrätin wieder: „Wir sind doch erfolgreich! Bei der Europawahl haben wir schon 0,4 Prozent geholt.“

Denselben trotzigen Optimismus lässt die frühere Aktivistin der Friedensbewegung anklingen, wenn sie in ihrer Begrüßungsrede die Feministische Partei als die Kraft beschreibt, „die seit tausenden von Jahren überfällig war“, wenn sie beim Zählen der anwesenden Mitfrauen auf 35 kommt und wenn sie nonchalant berichtet, dass fünfzig bis siebzig Prozent der tausend Mitfrauen für die Partei aktiv seien.

Der Grund für die fehlende Präsenz in Parlamenten und Öffentlichkeit liegt für Pomper auf der Hand: Mangel an Einfluss und Geld. „Wenn wir bekannter wären, würden uns auch mehr Frauen wählen, wir säßen im Parlament, hätten mehr Geld und mehr Möglichkeiten, unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen“, beschreibt sie den Teufelskreis, der sich aber, da ist sich Pomper sicher, irgendwann öffnen wird. „Aber es gibt Widerstände gegen uns“, braust sie auf. „Die Medien sind doch alle in Männerhand.“ Und: „Wir haben eben keine Lobby.“ Die Frage, ob die Frauenpartei nicht selbst Lobby sein sollte, erübrigt sich für sie. Dafür fehlt ja das Geld. Dabei soll eine der Sprecherinnen mehrfache Millionärin sein. „Diese Frage ist nicht relevant“, beendet Pompers hessische Kollegin Monika Christiann die aufblitzende Irritation: „Man kann nicht erwarten, dass jemand sein ganzes Privatvermögen in die Partei steckt.“

Das fehlende Geld ist ein großes Thema in der Frauenpartei. Schon die Kosten für Kurzprogramme und den Mitfrauenrundbrief der Sprecherinnenrunde treibt das Parteikonto ins Minus. In jedem Rundbrief muss Bundesschatzmeisterin Elke Bleich um Spenden betteln und mit Rücktritt drohen, wenn Landesverbände sich auch nach inständigsten Aufrufen nicht bequemen, Rechenschaftsberichte und Beiträge für die Bundespartei zu schicken.

Wie alle anderen arbeitet auch Elke Bleich ehrenamtlich. Die 52-jährige Bürokauffrau aus Potsdam hat sogar ihren Job reduziert, um an zwei Tagen die Woche die Büroarbeit in Berlin zu erledigen. Das kleine Berliner Parteibüro hat Bleich liebevoll eingerichtet und dekoriert. Eine Idylle in violetten Tönen. Schreibtisch, Besuchertisch, Sofaecke, Bücherregale, Pflanzen, Wandschmuck aus Bast. „Jeder, der etwas tut und nicht nur meckert“, fordert Bleich, „verdient Wohlwollen.“

Bleich hat auch die Geburtstagsfeier mitorganisiert. Gesangsdarbietung mit Gitarre, Buffet im Nebenraum, denn im Seminarraum darf nicht gegessen werden, Anstoßen mit Sekt. Da weht zum ersten Mal so etwas wie Emotion durch die Reihen. „Auf die Feministinnen!“, ruft eine Mitfrau. „Auf unseren Einzug ins Parlament!“ „Auf die Abschaffung der Fünfprozenthürde!“

Und zwei Fernsehbeiträge von 1995 über den Gründungsparteitag werden vorgeführt. Wie ein Geist steht plötzlich eine ganz in Lila gewandete Jutta Oesterle-Schwerin im Raum und verkündet wohlgemut, schon bei der nächsten Bundestagswahl 1998 wolle die Frauenpartei ins Parlament einziehen. Ein Raunen geht durch die Geburtstagsfeier: Jutta Oesterle-Schwerin, Ex-SPD-Mitglied, Ex-Grünen-Mitglied, prominenteste Gründungsfrau der Feministischen Partei, Angehörige der ersten Bundessprecherinnenrunde. Und diejenige, die viele für die Selbstzerfleischung der ersten Jahre bis hin zur Beinahe-Spaltung der Partei verantwortlich machen.

Weil Oesterle-Schwerin für sich eine Festanstellung als politische Referentin der Partei durchsetzte. Weil sie damit ruinöse Personalkosten produzierte und massiven Unmut bei den Mitfrauen. Weil geargwöhnt wurde, die Referentin schwinge sich zur heimlichen Parteichefin auf, installiere die alten, patriarchalen Strukturen, manipuliere die Partei, verletze deren oberste Prinzipien, die da lauten: Partizipation, Gleichberechtigung, Basisdemokratie. Weil es eine Parteivorsitzende laut Satzung nicht geben darf.

Dann ist Jutta Oesterle-Schwerin wieder verschwunden. Nicht ein einziges Mal wird auf der Feier der Name der einstigen Galionsfigur erwähnt. Sie soll inzwischen im Ausland leben. In der Frauenpartei existiert sie nur noch als Karteileiche. Weiter im Programm, zu den Airbrushmalereien einer österreichischen Feministin, zum Quiz zur Parteigeschichte und zu Elke Bleichs Vortrag ihrer selbst geschriebenen Geschichten, in denen es um den Werdegang einer Ostfrau namens Karin geht, die schließlich an der Gründung einer Frauenpartei beteiligt ist.

Es ist natürlich Bleichs Geschichte. Bleich, früher beim Neuen Forum und beim Unabhängigen Frauenverband, gehört zu den 35 Frauen, die nach dem Frauenstreik 1994 die Parteigründung vorbereiteten. „Die Atmosphäre war sehr harmonisch“, sagt sie, „wir fühlten uns wohl.“ Damit die Parteigründung auch wirklich erfolgreich über die Bühne gebracht werden konnte, entwarfen die 35 für den zweitägigen Gründungsparteitag eine sehr rigide Geschäftsordnung. Redebeiträge waren auf wenige Minuten begrenzt. Die Ernüchterung war vorprogrammiert. Vierhundert Frauen waren gekommen, um eine Partei zu gründen, die völlig anders sein sollte als andere Parteien, und nun erlebten sie einen streng durchreglementierten Parteitag, bei dem Diskussionen über Programm und Satzung kaum möglich waren.

Das gab viel böses Blut, Erbitterung, Desillusion. Bis heute hat die Partei daran zu tragen. Bis heute sind viele auf der Suche nach der verlorenen Harmonie. Und bis heute ist nicht klar, ob Parteistrukturen zur Frauenbewegung passen. „Wir sind keine Selbsthilfegruppe, sondern eine Partei“, sagt Bleich. „Aber vielleicht sind wir doch beides.“

VERENA KERN, 36, lebt als freie Journalistin in Berlin