Linear? Fehlanzeige

■ Bei "America Offline" braucht das Schematic Label dennoch seine Laptops

Keine Informationen. Nicht auf den Platten, nicht auf Begleitschreiben, nicht im Netz. Stattdessen liefert und produziert Schematic, eine in Miami ansässige und im Bereich der elektronischen Musik zur Zeit stilbildende kleine Plattenfirma, Bilder. Aber keine gewöhnlichen: Vielmehr benutzt das Label Visualisierungen von Architektur, zeitgenössischem Design und Videokunst durchdrungene Visualisierungen, die auf narrative Strukturen verzichten und in der Regel mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten.

So sind auf dem Cover der ersten Labelcompilation Ischemic Folks noch ineinander verschachtelte und übereinander liegende, offensichtlich digital bearbeitete Fotografien zu sehen, auf denen in der Ferne Hochhäuser leicht schräg zwischen Feldern und Bäumen stehen. Den aktuellen Sampler Lily Of The Valley ziert hingegen eine Luftbildaufnahme, auf der die Bäume diesmal mit Punkten wie Zielmarkierungen versehen sind. Dazu auf der Rückseite endlich Wörter: "Witness the synthetic re-construction of our naturo environment via schematic logistics."

Auch bezüglich der Musik ist schwer zu sagen, welchen Regeln sie folgt. An besagte synthetische Rekonstruktion der Natur wird man sich jedenfalls eher selten erinnert fühlen. Die Betreiber des Schematic-Labels, Romulo und Josh vom Projekt Phoenecia, bezeichnen ihre Arbeiten als "logarythmic meme-based audio electrotecure", aber das gilt eigentlich nur für den heutigen Tag. Bereits morgen könnten sie sich dafür wieder eine neue Beschreibung ausdenken. Es ist wie in der von Flexibilität diktierten freien Wirtschaft: Was gerade noch richtig war, kann im nächsten Moment genau das Verkehrte sein.

Die Musik spiegelt das auf eine eigene Art wider. Auf ihre Strukturen ist kaum Verlass, der Beat kann im nächsten Moment genau dort sein, wo er nicht zu erwarten war. Linearität? Fehlanzeige. Die zerhäckselten Sounds bewegen sich nicht selten im hochfrequenten Bereich oder in kaum zu erahnenden, dafür umso deutlicher zu spürenden Untiefen. Dass dafür irgendwann einmal HipHop und 80er-Jahre-Industrial die Ausgangskoordinaten waren, wie im Falle der Überväter dieser Art von Musik, Autechre aus dem englischen Sheffield, ist heute kaum noch zu hören.

Live umgesetzt wird die Musik in der Regel mit Laptops. Das ist zwar nicht sonderlich spannend anzusehen, aber darum geht es schließlich auch nicht. Sondern darum, den scheinbar unendlich übereinander geschichteten Sounds und Beats zu folgen, sie zu verlieren und mit permantem Fokuswechsel andere Sachen zu entdecken. Das ist auch wesentlich aufregender.

Klaus Smit

Sonntag, 22 Uhr, Golden Pudel Klub