Ein letzter Blick auf die Natur

Neuenfelde nach dem Beschluss zum Bau des A3XX: Gerüchte geistern durch den Ort, der für die Verlängerung der Dasa-Landebahn plattgemacht werden soll. Wer nicht verkaufen will, wird schon mal angerufen und gilt als Arbeitsplatzkiller  ■ Von Peter Ahrens

Die Dasa tut etwas in Finkenwerder. Die Schüler am Gymnasium werden in die Partnerstadt Toulouse geflogen, das Unternehmen hat den Finkenwerder Kunstpreis gespendet, den Seglern einen neuen Yachthafen hingesetzt, den Schulen werden neue Computer gespendet. „Die Leute hier sind eingelullt worden“, sagt Hans Diercks. Diercks hat sich nie um den Kunstpreis beworben, er besitzt kein Segelboot im Yachthafen, er bekommt von Dasa nur den täglichen Fluglärm mit. Weil er sicher ist, dass der mit der Werkserweiterung noch viel schlimmer würde, macht er beim Schutzbündnis für die Elbregion mit. Und weil er fürchtet, dass Dasa, der Finkenwerder Wohltäter, sein Dorf Neuenfelde kaputt macht.

Kommt die verlängerte Landebahn für den Super-Airbus, müssten Häuser am Neuenfelder Rosengarten weichen, da sind sich die Leute vom Schutzbündnis ganz sicher. Seitdem die Erweiterungspläne ruchbar wurden, geistern Gerüchte durch den Ort. Der eine soll schon verkauft haben, bei der anderen sollen städtische Abgesandte mit dem Geldkoffer schon angeklopft haben, heißt es.

Der Airbus braucht Platz, er braucht eine Zone, in der er künftig bequem landen kann, und mittendrin in der Zone sitzt Bauer W. auf seinem Grund und weigert sich, zu verkaufen. Seine Frau will inzwischen nicht mehr ihren Familiennamen in der Zeitung lesen, möchte am liebsten gar keine Reporter mehr auf ihrem Hof stehen sehen. Spätestens seitdem die anonymen Anrufe kommen, in denen die Familie als Arbeitsplatzkiller beschimpft wird, nachdem W. mal im Fernsehen bekräftigt hat, seinen Grund und Boden behalten zu wollen. Spätestens, seit ihre Tochter immer belästigt wird, wenn sie am Wochenende in die Nachbarorte Neu-Wulmstorf oder Neugraben zum Tanzen geht. Spätestens, seit der Spiegel gegenüber dem Hauseingang eingeschlagen wurde. Wer es war, kann sie nur vermuten: „Viele hoffen hier eben auf die Dasa-Arbeitsplätze.“ Sie hat gehört, dass Leute, die sich bei Dasa um Stellen beworben haben, zu hören kriegen: Sie sollten noch einmal wiederkommen, wenn feststehe, dass Teile des A3XX in Hamburg gebaut werden. Dann stünden ihre Chancen bestens.

Seit 300 Jahren sitzt die Familie W. auf dem angestammten Hof, 12 Hektar Fläche voller Obstbäume gehören dazu. Es ist beinahe schon Klischee: Der alte Bauer auf seinem Hof, im Hintergrund der Nussbaum, die uralten Plumpsklos hinterm Haus, längst außer Betrieb, sorgsam hergerichtet und als Dekoration stehen gelassen – Landidyll, wie man es sich im Lore-Roman nicht besser ausdenken könnte. W. sagt: „Die Leute, die vor zehn bis 20 Jahren hier zugezogen sind, können gar nicht mitreden, was das bedeutet, dies hier abzugeben.“ Seine Frau zuckt die Schultern: „Von dem Geld aus einem Verkauf könnten wir uns natürlich ein Haus woanders kaufen, aber wovon sollen wir dann weitermachen? Unser Leben ist immer der Hof gewesen.“ Ein konkretes Verkaufsangebot hat W. bisher allerdings nicht erhalten. Er sei nur einmal unverbindlich gefragt worden, ob er nicht zunächst nur seine Gebäude abgeben wolle. Klare Antwort: Nein. „Ein Bauer ohne seine Gebäude – also, wie die sich das vorstellen...“

W. setzt seine Hoffnungen auf Leute wie Gabi Quast – auch wenn sie eine Zugezogene ist. „Ich hab hier gerade die taz, RTL sitzt bei mir in der Küche, und der NDR ist auf dem Weg“, teilt sie ihrem Handy mit, das an diesem Tag Überstunden macht. Der Beschluss zum Bau des Airbus ist offiziell verkündet, und bei der Sprecherin des Schutzbündnisses läuft die Mobilbox heiß. Eigentlich war für gestern ein Grillfest auf dem Hof geplant, die Würstchen müssen jetzt zugunsten der JournalistInnen warten. Vor 13 Jahren ist Gabi Quast als Obstbäuerin nach Neuenfelde gezogen, und jetzt organisiert sie Demos, hält Kontakt zu Medienleuten, zieht den Widerstand gegen die Werkserweiterung auf. „Es ist eine Arbeit, die wahnsinnig fordert, aber auch ebenso wahnsinnig wichtig ist“, sagt sie. Quast ist keine von denen, die direkt von der Verlängerung der Airbus-Landebahn betroffen wäre, aber sie sagt: „Ich will einfach nicht, dass mein halber Ort, in dem ich lebe, abgerissen wird.“ Sie erzählt von dem Mitarbeiter einer Bank in Finkenwerder, der beim Schutzbündnis mitmachen wollte, woraufhin die Bank Druck von Dasa bekommen haben soll. Der Mann hat seine Mitarbeit beim Bündnis anschließend zurückgezogen.

31 Vereine und Verbände machen beim Schutzbündnis mittlerweile mit, der Widerstand ist allerdings immer noch weitgehend auf Neuenfelde und Umgebung beschränkt. „Das Bewusstsein, das hier gesunde Sozialstrukturen vernichtet werden, ist leider in der übrigen Stadt Hamburg nicht besonders verbreitet“, sagt Quast. In der Berichterstattung vieler Medien sei fast immer nur die Rede von den angeblich 4000 Arbeitsplätzen, die der A3XX bringe. Auch wenn Diercks und Quast längst nicht mehr an diese Zahl glauben – dagegen ist schwer anzuprotestieren.

Ein paar hundert Meter weiter in Bundts Gartenrestaurant, wo die Hamburger RentnerInnen ihre Tagesausflüge bei Kaffee und Kuchen ausklingen lassen, sitzen drei Omas überm Erdbeerkuchen auf der Terrasse. Aus Poppenbüttel sind sie hergekommen und sagen: „Wir wollten uns noch ein letztes Mal die Natur hier anschauen.“ Trost haben sie aber auch für die Leute, die für die Dasa möglicherweise weichen müssen: „Wir sind Schlesier. Wir haben damals auch alles verloren. Das war noch furchtbarer.“