Armselige Erde

■ Im Bremer Dom sangen die St. Stephani-Kantorei und der Liebfrauen-Knabenchor Anton Dvoraks D-Dur-Messe

Die Zeit, wo man sich in Kirchen zurückziehen musste wegen des Hitzeschocks sind nun vorbei. Die Kirchenmusiktage, die sich zeitgeistig „voices and organ“ nennen, neigen sich gen Ende. Da konnte man noch einmal die ganze Herrlichkeit des Himmels und die erschütternde Armseligkeit des Erdenrunds erleben beim Konzert, das der „Knabenchor an Unser Lieben Frauen“ zusammen mit der „Bremer Kantorei an St. Stephani“ unter Leitung von Tim Günther im Dom gab.

Auch in Dvoraks D-Dur-Messe für Chor und Orgel ohne Solisten, die im Zentrum des Konzerts stand, gibt es – wie bei so vielen Vorläufermessen – einen fulminanten Einbruch von strahlendem Forte zu melancholischem Pianissimo an jener Stelle, wo sich das Geschehen vom „Gloria in excelsis Deo“ zum „et in terra pax“ wendet. Der Friede auf Erden ist eben ein fragiles Ding. Die Messe steht insgesamt in der Tradition überlieferter Textauslegung. Das Mysterium von Christi Fleischwerdung ist ebenso in Noten transformiert wie der Aufstieg in den Himmel. Das Credo – „ICH glaube“ – ist durch viele einstimmige Teile kenntlich gemacht als Verpflichtung, die jeder Einzelne für sich leisten muss. Die Messe verzichtet am Schluss demütig auf triumphale Klänge. Auf diese Berg- und Talfahrt des zwischen Hoffnung, Zweifel und Überschwänglichkeit hin- und hergerissenen Christen begibt sich der Chor mit viel Einfühlungsvermögen. Schön ist die ruhige Zärtlichkeit des Benedictus. Die unorthodoxe Zusammenfügung von Erwachsenen- und Knabenchor, erdverhafteten und glöckchenreinen Stimmen, steht dem Klang nicht schlecht.

Mendelssohn schrieb nicht nur Stücke für Männerchor („Oh Täler weit, oh Höhen“), die bald beliebt wurden wie Volkslieder; auch seine Geistlichen Lieder für Chor, Orgel und Soloalt sind von berückender Einfachheit. Und wenn Altistin Bakis Mele wegen ihrer allzugroßen Sündhaftigkeit „gnädig“ fleht, dann ist die erteilte Verzeihung in Musik und Stimme eigentlich schon längst gewährt.

Ein richtig bombastisches Suchen und Drängen findet in dieser Stückauswahl ausgerechnet in einem Orgelsolo statt. Cesar Francks „Coral en la-mineur pour Orgue“ muss sich erst durch viele aufgeregte Girlanden im Wechsel mit monumentalen, fragend in die Höhe tastenden, gebrochenen Dreiklangstürmen kämpfen, ehe es zur Ruhe kommt. Tim Günther hat dies schön gespielt. Am Samstag kann man noch einmal eine Reise durch die Himmel und Höllen des Chris-tentums machen. Da singt der Domchor Bachs einzigartige h-Moll-Messe, für die sich alle ChorsängInnen dieser Welt nur allzu gerne schinden und knechten lassen. bk