Katz und Maus in Reinickendorf

Seit knapp drei Monaten geht zwischen Lübars und Waidmannslust ein Brandstifter um. Mit einem Feuerzeug zündet er wahllos Autos an. 30 Fahrzeuge sind bereits ausgebrannt. Die Kripo steht vor einem Rätsel und setzt vor allem auf Zivilbeamte

von PLUTONIA PLARRE

Seit zwei Wochen macht der Brandstifter Pause. Aber das ist angesichts der vielen Zivilbeamten vor Ort auch kein Wunder.

Von den Damen und Herren mit Knopf im Ohr abgesehen, geht das Leben in Waidmannslust den gewohnten Gang. Nur ein weißer Ford-Handwerkerbus im Alptalweg passt nicht so recht ins Bild. Der Lack über dem rechten Kotflügel ist verschmort. Wo das Rücklicht war, ist ein schwarzes Loch, das rechte hintere Fenster ist in tausend winzige Scherben zerplatzt. Die Spuren tragen die eindeutige Handschrift eines Brandstifters, der seit Anfang April in Reinickendorf umgeht. 30 Fahrzeuge – Baujahr und Fabrikat spielen keine Rolle – sowie diverse Müllcontainer gehen mittlerweile auf sein Konto.

Die Taten ereigneten sich durchweg in der späten Nacht oder den ganzen frühen Morgenstunden. Die Kripo ist überzeugt, dass es sich um ein- und denselben Menschen handelt, denn die Spuren haben nach Angaben des zuständigen Leiters der Brandinspektion im Landeskriminalamt (LKA), Michael Havemann, eindeutige Merkmale. Ein Indiz ist, dass die Fahrzeuge stets mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt werden. Das heißt, leicht entflammbare Plastikteile wie Blinker und Rücklicht werden angezündet. Die Flammen sind zunächst winzig klein. Erst wenn sie sich zum Lack vorgefressen haben und der Wagen lichterloh brennt, wurde das Feuer in der Regel entdeckt.

Die Kripo geht von einem Einzeltäter aus, der zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist. Eine Täterbeschreibung gibt es bislang ebenso wenig, wie Hinweise auf die Motive. Ein politischer Hintergrund wird von Havemann aber ausgeschlossen. Ansonsten kann er nur spekulieren oder aus den Lehrbüchern der Kriminologie zitieren: 96 Prozent aller Branddstifter seien Männer. Und zu dem Ort, an dem sie zündeln, existiere meistens ein „sozialer Bezug“. Alles andere sei Kaffeesatzleserei: „Vielleicht“, so Havemann, „ist der Täter durch die Führerscheinprüfung gefallen, ein Autohasser oder sexuell frustiert? Alles ist denkbar.“ Und für den stellvertretenden Brandkommissariatsleiter Rainer Wiese steht fest: „Die Person muss viel Zeit haben, weil sie sich tagsüber ausschlafen kann.“

Die Fahnung gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Das Zentrum der Brandstiftungen ist zwar Waidmannslust rund um den Zabel-Krüger-Damm, aber auch im angrenzenden Lübars, Wittenau, Hermsdorf und dem übrigen Reinickendorf hat der Brandstifter schon seine Spuren hinterlassen.

Das letzte Mal schlug er vor genau zwei Wochen in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni gleich zweimal zu: am Zabel-Krüger-Damm und im Eichhorsterweg. Seither ist Pause. „Vielleicht spielt er mit uns Katz und Maus, weil er sich beobachtet fühlt“, mutmaßt Rainer Wiese.

Über die Fahndungsmethoden schweigt sich die Polizei aus. Dass sich im Kiez nächtens zahlreiche Zivilbeamte herumtreiben, ist den Anwohnern allerdings nicht entgangen. „Die kommen immer bei mir essen“, erzählt der Chef der kleinen Pizzeria „Da Mimo“. „Einer hat erzählt, dass sie hinter einem Mann mit Schiebermütze auf einem Rad her sind.“

Ein Anwohner, der mit seinem Rottweiler spätabends noch mal Gassi geht, erkennt die Zivilen daran, dass sie zu zweit bei offenen Fenstern im Auto sitzen und laut Polizeifunk hören. Einige seien auch auf Fahrrädern unterwegs. „Die haben ein Knöpfchen im Ohr.“ Dass die Ermittlungstaktik greift, kann sich der Hundehalter nicht vorstellen.

Anfang Mai war die Kripo ganz dicht dran. Als auf einem Parkplatz ein BMW zu brennen begann, waren zum Löschen als erstes zwei Zivilbeamte zur Stelle. „Sie hätten mehr Schaden verhindert, wenn sie sich sofort aufgemacht hätten, den Mann zu kriegen“, mosert eine Anwohnerin. Aber solche kritischen Töne sind nur selten zu hören. Den meisten Waidmannslustern scheint klar zu sein, dass es ein schwieriges Unterfangen ist, den Täter zu schnappen. Auf die Frage, ob in den Hochhäusern am Zabel-Krüger-Damm die Angst umgeht und die Autos verstärkt woanders geparkt werden, kontert eine Frau: „ Soll’n wa den Wagen vielleicht mit in 5. Stock hochnehm?“ Einzig der innenpolitische Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz, weiß von diversen Anrufen von Reinickendorfern zu berichten, die zutiefst beunruhigt seien. „Die Leute wollen eine Bürgerwehr bilden, weil sie den Eindruck haben, dass zu wenig passiert.“

Die Kripo will den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. „Wir ermitteln mit Hochdruck“, sagt Havemann mit Hinweis darauf, dass sechs LKA-Beamte vollzeitmäßig mit dem Fall beschäftigt sind, die Zivilbeamten nicht inbegriffen. Die Frage ist nur, wie lange der Personaleinsatz vor Ort durchgehalten wird, wenn der Täter weiter Pause macht.