Aus Fehlern nichts gelernt

Moskau sieht seinen Militärauftrag im Kaukasus erfüllt und reduziert die Streitkräfte in Tschetschenien. Das war auch im letzten Krieg so. Doch damals eroberten die Rebellen Grosny zurück

aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Generalstabschef Anatoli Kwaschin erklärte den „militärischen Teil der antiterroristischen Operation“ im Kaukasus schon vor Monaten für beendet. Doch damals nahm niemand die Siegesfanfaren wirklich ernst.

Inzwischen scheint der Generalstab überzeugt zu sein, die militärische Aufgabe erfüllt zu haben. Seit Anfang des Jahres, als noch 100.000 russische Soldaten in der Kaukasusrepublik standen, ist das Kontingent auf die Hälfte reduziert worden.

General Wjatscheslaw Borisow, Stellvertreter des Oberkommandierenden der russischen Truppen in Tschetschenien, bestätigte gegenüber Itar-Tass die drastische Verringerung kämpfender Einheiten. Demnach stehen zurzeit nur noch 48.600 Mann unter Waffen. Neben 200 Panzern und 700 Geschützen verfügt die Armee noch über 1.700 Panzerspähwagen vor Ort. In den nächsten Wochen sind weitere Truppenverlegungen vorgesehen. Sobald die Operation abgeschlossen ist, sollen nach Angaben der Generalität eine Armeedivision, eine Brigade der Truppen des Innenministeriums sowie eine verstärkte Einheit der Grenztruppen auf Dauer in der Kaukasusrepublik stationiert werden. Nach Schätzungen dürften sie 35.000 Mann umfassen.

Trotz aller anders lautenden Verlautbarungen geht der Krieg weiter und verlangt täglich neue Opfer. In den letzten Wochen haben tschetschenische Rebellen nicht nur den Partisanenkrieg verstärkt, sondern sind auch zu neuen Taktiken übergegangen. Mehrere Selbstmordkommandos überfielen russische Posten.

Militärbeobachter warnen daher vor den riskanten Folgen einer Truppenreduzierung. Schon in der jetzigen Stärke ist die Armee kaum noch in der Lage, die besetzten Gebiete zu verteidigen. Wie sollte es unter diesen Bedingungen möglich sein, die Schlupfwinkel der Rebellen in der Bergregion auszuheben? Nach wie vor gibt die Armeeführung vollmundig dies als Kriegsziel vor. Im Gegensatz dazu hat man sich in Moskau wohl damit abgefunden, den südlichen Landesteil Tschetscheniens nicht mehr „befreien“ zu können.

Als wesentlichen Grund des Truppenabzugs nennen Militärexperten den notorischen Geldmangel in der russischen Staatskasse. Er erlaube es nicht, über längere Zeit ein 100.000 Mann starkes Herr in Kampfbereitschaft zu halten. Überdies fürchtet man, die „Kontraktniki“ – gut ausgebildete Vertragssoldaten – kündigen ihren Dienst auf. Als Sparmaßnahme kürzte Moskau ihren Tagessold auf die Hälfte. Für noch weniger Sold setzen sich erfahrene Vertragssoldaten den erhöhten Gefahren eines Partisanenkrieges nicht aus. Wiederholt die Armeeführung den Fehler des ersten Tschetschenienkrieges? Auch damals war es General Kwaschin, der den Krieg vorzeitig für gewonnen erklärte und einen Abzug veranlasste. 40.000 Soldaten blieben in Grosny zurück. Die tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer warteten einige Monate ab, um dann Grosny zurückzuerobern.

In der Folge musste sich die russische Armee aus der Kaukasusrepublik ganz zurückziehen und eine blamable Niederlage einstecken. Rebellen, die in diesem Krieg die direkte Konfrontation mit einem überlegenen Gegner nicht scheuten, dürften den Abzug der Russen auch diesmal als Herausforderung begreifen. Unklar ist: Erkennt die russische Generalität die Ähnlichkeit der Lage nicht, oder sind ihr die Hände gebunden?

Das Verteidigungsministerium sieht keinen Grund zur Sorge: „Für die Mission stehen genug Kräfte zur Verfügung.“ Das Innenministerium verweist auf Verbände in den Nachbarregionen, die schnell nach Tschetschenien verlegt werden können.