grüner parteitag
: Mehr politisches Profil bitte!

Auf einem Grünen-Parteitag sei man ebenso in Gottes Hand wie auf hoher See, spöttelt Joschka Fischer gerne. Der Satz spricht dafür, dass der Außenminister seine Partei auf dieselbe Weise betrachtet, die sich seit Jahren auch in vielen Leitartikeln widerspiegelt. Nach wie vor wird so getan, als stünde relativ vernünftigen, pragmatischen Spitzenpolitikern eine unberechenbare, irrationale Basis gegenüber, deren Entscheidungen sich in keiner Weise vorhersagen ließen.

Nichts könnte von der Wirklichkeit weiter entfernt sein als diese Sichtweise. Schon lange sind die Delegierten auf Grünen-Parteitagen in ihrer großen Mehrheit nicht etwa Basisaktivisten, sondern Funktionäre: in Kommunen, in Kreistagen, auf Landesebene. Sie verstehen eine Menge davon, wie Politik gemacht wird und welche Zwänge zu berücksichtigen sind. Entsprechend treffen sie ihre Entscheidungen, die aller unangemessenen Dramatik in den Medien zum Trotz längst fast immer vorhersehbar sind. Es ist kein Zufall, dass sich die Grünen niemals gespalten haben, obwohl ihnen dieses Schicksal wieder und wieder vorhergesagt wurde.

Kommentarvon BETTINA GAUS

Der Zusammenhalt einer Partei garantiert aber noch nicht deren Erfolg. 13 verlorene Wahlen in Folge lassen sich nicht mehr allein mit der jeweils aktuellen politischen Situation erklären. Offenkundig können WählerInnen immer weniger Gründe dafür erkennen, dass sie den Grünen ihre Stimme geben sollen. Das hat mit der Frage, wie lange es bis zum Ausstieg aus der Atomenergie dauert, allenfalls am Rande zu tun. Vielmehr hat die Partei es versäumt, über der notwendigen Anpassung an den Alltag einer Regierung ihr Augenmerk auch darauf zu richten, dass sie weiterhin mit einem eigenständigen Profil kenntlich bleibt. Besonders deutlich wird das daran, dass prominente Grüne nach jeder verlorenen Wahl erneut auf die Suche nach Themen gehen, mit denen der Zugang zu bislang versperrten Wählerschichten eröffnet werden soll. Ein absurdes Konzept. Politische Themen gibt es, oder es gibt sie nicht. Sie lassen sich nicht erfinden.

Die Partei braucht keine neuen Themen. Sie muss ihr politisches Koordinatensystem wiederfinden. Darin besteht die wirkliche Herausforderung für die neu gewählten Gremien: eine geistige Klammer für die Fülle von Einzelfragen zu formulieren, die eine Regierung im Tagesgeschäft zu bewältigen hat. Die Antwort auf diese Frage wird auch die Antwort auf die Frage nach der politischen Zukunft der Grünen sein.