Mit Furcht und Schrecken

Der kafkaeske Ort der Beschränkung: Anke Feuchtenbergers neues Bilder-Buch „Der Palast“
Von Doro Wiese

Das Programm der bürgerlichen Parteien, schreibt Walter Benjamin in seinem Surrealismus-Aufsatz, sei ein schlechtes Frühlingsgedicht. Denn die Bilderwelten, die in ihren programmatischen Verlautbarungen zur Schau gestellt werden, spiegelten nichts als einen diktierten Optimismus wieder. Im Surrealismus dagegen falle die „gute Stube“ aus und man betrete einen hundertprozentigen Bildraum, der sich in erschreckender Weise auf den Leib hefte. Das Alltäglichste wird als undurchdringlich erfahren und kann sich in keiner sinnstiftenden Zukunftsgewandtheit behaupten.

In dieser Hinsicht trifft sich die Darstellungswelt von Anke Feuchtenbergers Bildgeschichten mit einer surrealistischen Stoßrichtung. Denn Feuchtenberger, inzwischen eine der großen Zeichnerinnen der bundesdeutschen Comic-Szene, setzt auf Verstörung. Die gebürtige Berlinerin, die mittlerweile an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg lehrt, entzieht ihren Bildern jede plakative Wirkung. Die kahlköpfigen Kindfrauen mit den kleinen Brüsten, die ihre gezeichneten Erzählungen durchlaufen, werden mit rätselhaften Begebenheiten konfrontiert. Dass jemand seinen Kopf verliert, der daraufhin allein und unabhängig durch die Welt schwebt, ist beispielsweise keine Seltenheit. Und die Orientierungslosigkeit der Figuren wird oftmals durch Sprünge in der perspektivischen Wiedergabe verdeutlicht, die den dargestellten Raum ins Unermessliche verlagern.

So auch im neuesten Bilder-Buch von Feuchtenberger mit dem Titel Der Palast. Ein Palast, so könnte man meinen, sei ein Ort des Herrschaftlichen. Doch in der Feuchtenbergerschen Inszenierung erweist er sich vielmehr als beschränkter und beschränkender Raum. Die Leserin gerät in eine kafkaeske Welt, in der jede Verzweigung unweigerlich an eine Grenze stößt, deren vordergrün-digstes Motiv die Rahmen sind, die jedes Bild gleichförmig beschränken. Sie funktionieren keineswegs als Abschluss des Bildes, sondern verstellen den Raum, der mit dem Auge zu durchschreiten wäre. Aber auch der Bildinhalt vermittelt Beschränkungen. In den ersten sieben Bildern werden Örtlichkeiten des Palastes beschrieben. Doch er wird nicht als kohärenter Raum erfasst. Der Eingang ist eine dunkle Öffnung, der Aufzug zu den Stockwerken ein einsames Seil, der Garten wird durch das Ende eines eisernen Zaunes repräsentiert. Mauern versperren die Sicht, die Treppe führt ins blaue Nirgendwo. Und das Fenster, welches den Rahmen für die folgenden „Geschichten“ liefert, zeigt einzig eine dunkelblaue Fläche. Derartig in die Enge getrieben, kann der Blick sich nur an der Begrenzung verfangen. Wie der Aufzug wirklich aussieht, was sich hinter der Mauer befindet und welche Szenen das Fenster preiszugeben vermag, kann erst aus den daraus folgenden Bildern geschlossen werden.

Diese ergeben keine zusammenhängende Geschichte, sondern zeigen vielmehr Ausschnitte von Geschehnissen, die an irgendeinem Ort innerhalb des Palastes spielen. Dabei nimmt Feuchtenberger entstellte Bildelemente aus der einleitenden Beschreibungssequenz auf. So tauchen beispielsweise die Eisenornamente des Gartenzaunes kaum sichtbar im Hintergrund eines Bildes auf, in dem zwei glatzköpfige Mädchen mit finsterem Blick zu einem Tenniscourt aufbrechen. Dass dieser Kampf- platz den Garten des Palastes darstellen soll, er- gibt sich gleichfalls aus der zuge- ordneten Textpassage. In dieser wird der Aufbruch in einen Krieg beschrieben. Die friedlichen und blumenreichen Assoziationen, die mit dem Stichwort „Garten“ verbunden sind, erweisen sich somit als irreführend. Feuchtenberger greift hier in Vorstellungswelten ein und lässt sie in ihre unheimliche Kehrseite umschlagen.

Am deutlichsten tritt die Umarbeitung von Assoziationsfeldern jedoch in den evozierten Körper-Bildern hervor. Durch Feuchtenbergers schräge Perspektiven gerät jegliches Gleichgewichtsgefühl aus dem Takt, und Bild und Text arbeiten daran, erschreckende Körpervorstellungen hervorzurufen. Ersticken und Erbrechen, Ertrinken und Versinken, Blut und Hunger, sowie das Gebären eines Kindes aus dem Mund werden in ihren Bildern zur Schau gestellt. Der Körper, derart von der Vorstellung erfasst, vermittelt nicht die Sicherheit des Verständlichen. Vielmehr durchschreitet Feuchtenberger herkömmliche Bildwelten und schmiedet uns Beunruhigendes auf den Leib. Aber in Zeiten, in denen öffentlichen Parolen uns mit „Innovation und Gerechtigkeit“ (SPD) beschießen, kann diese Unheimlichkeit nur wertgeschätzt werden. Denn im puren Optimismus der neoliberalen Werbewelten fehlt allzu oft dasjenige, was Furcht und Schrecken hervorrufen kann.

Anke Feuchtenberger: Der Palast. Jochen Enterprises, 64 Seiten in Farbe, 49,90 Mark