Kein Leckerbissen

Im Abendprogramm von Pro 7 plätschert sie aus, die Mystery-Welle: Die apokalyptische Serie „Millennium“ ist dem breiten Publikum zu düster

von DANIEL PETERSEN

Frank Black ist ein so genannter „Profiler“ mit seltener Gabe: Angesichts eines Tatortes kann er seinen eigenen inneren Triebtäter herauslassen, in die seelischen Abgründe des Bösen sich versenken und so dessen Identität auf die Spur kommen. Dass seine ursprünglich auf vier Staffeln angelegte Serie „Millennium“ noch nicht mal bis zur vierten durchhielt, das konnte er hingegen nicht ahnen. Uns Deutschen bleibt der Trost, dass wir dank der vermarktungstechnischen Zeitverschiebung die restlichen eineinhalb Staffeln noch vor uns haben: Ein düsteres Amalgam aus Soap, Detektivgeschichte, Übersinnlichem und Außerirdischen.

Neben der Neuauflage von „Star Trek“, das sein possierliches Original schnell vergessen ließ, läutete vor allem David Lynchs „Twin Peaks“ eine neue Generation der Fernsehserien ein: Die epische Erzählform – oft ausgehend von einem zentralen Leiträtsel – kam aus ökonomischen Gründen im Fernsehen wieder auf ihren Begriff. Chris Carters „Akte X“ gab den ästhetischen und motivischen Kanon der Dekade vor und zog mehr oder weniger gelungene Nachahmer wie „Profiler“ oder „Dark Skies“ nach sich. Allen gemein war der Ansatz, sich einer fortlaufenden, narrativen Logik zu unterwerfen. Dass Sender wie Sat.1 mit „Star Trek“ oder RTL 2 mit „Stargate“ weiterhin die Serien als fungible Füllmasse verwendeten, gehört zur Crux des Genres.

So erging es auch „Millennium“, der zweiten Kreation von „Akte X“-Erfinder Chris Carter. Sat.1 setzte die Serie vor knapp eineinhalb Jahren mitten in der 2. Staffel ab. Umso mehr freuen sich die Fans, dass „Millenium“ nun unerklärlicherweise wieder bei Pro 7 auftaucht – und den erzählerischen Faden genau dort aufnimmt, wo Sat.1 ihn hatte fallenlassen.

Dass „Millennium“ deutlich düsterer geriet, als man es ohnehin von diesem Genre gewohnt ist, mag den mäßigen Erfolg der Serie in den USA wie in Europa erklären. Im Zentrum der Geschichte steht der ehemalige FBI-Profiler Frank Black (Lance Henriksen), der nach einem Nervenzusammenbruch zurückgezogen mit Frau und kleiner Tochter in einem gelben Häuschen wohnt – ein windstilles Refugium und Modell der Versöhnung mit der Welt. Doch die Jagd auf Serienmörder geht weiter und verlangt nach Blacks Fähigkeiten.

Triebtäter sind hier keine gestörten Outlaws, sondern agieren aus der so genannten Mitte der Gesellschaft, deren Werte sie auf pervertierte Weise zu verwirklichen suchen. Als man gegen Ende der ersten Staffel des „serial killer of the week“ überdrüssig wurde, wagte Chris Carter die Häutung: Es deutete sich Übersinnliches an. Was nicht weiter verwunderte, arbeitet Black doch seit der ersten Folge für die mysteriöse „Millennium“-Gruppe, die sich dem Kampf gegen das Böse verschrieben hat und sich im weiteren Verlauf als älter, geheimnisvoller und ambivalenter herausstellte als erwartet.

So konnten wir bisher in der zweiten Staffel erleben, wie Frank von Frau und Kind verlassen wird, wie tief seine eigenen Abgründe wirklich sind, wie er eine von ähnlichen seherischen Gaben gepeinigte Leidensgenossin kennen lernt oder, auf der Suche nach tausend Jahre alten Moorleichen, mit Gottfried John an den Hacken durchs Teufelsmoor bei Bremen stapft. Zu klären bleiben noch das wahre Wesen und die Flügelkämpfe innerhalb der ominösen Gruppe – sowie natürlich die Identität jenes unheilvollen Bösen, das so leicht von einer harmlosen Erscheinungsform in die andere wechseln kann.

Wem die Ausgangssituation – seherische Gabe und sporadische Konsultation bei der Suche nach Triebtätern – bekannt vorkommt, der kann ermessen, wie sehr Drehbuchautor Chris Carter die Kreativität von Thomas Harris angezapft hat. Harris lieferte mit seinen Romanen „Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“ die unfreiwillige Vorlage zu „Millennium“ und Konsorten: Agent Starling aus „Schweigen der Lämmer“ ist das Vorbild für Agent Scully aus „Akte X“, der wiederum ein leicht abgewandelter Agent Cooper aus „Twin Peaks“ zur Seite steht.

Weit davon entfernt, nur Abklatsch zu sein, nimmt „Millennium“ – wie auch „Akte X“ oder „Profiler“ – Harris’ Faden auf, spinnt ihn weiter und bringt dabei Bilder und Geschichten hervor, die extremer und verstörender sind als alles, was zur besten Sendezeit gezeigt werden darf. Die Serie macht keine Anstalten, ihren fatalistischen Grusel zu entschärfen. Und wahrscheinlich lassen sich der Schrecken jenseits des geregelten Alltags und die offenbare Aussichtslosigkeit des Daseins kaum sinnfälliger inszenieren als in einer entsprechenden filmischen Monochromie. Genau dafür müssen die ZuschauerInnen zahlen. Denn zu sehen gibt’s blutige Visionsfetzen, eine depressive bis apokalyptische Atmosphäre, totale Humorlosigkeit, düster einsame Cellotöne und, nicht zuletzt, Henriksens gallige, in Stein gemeißelte Weltuntergangsvisage – nicht unbedingt Leckerbissen für das breite Publikum.