Das Soziale stößt auf Desinteresse

Fünf Jahre nach dem UNO-Sozialgipfel von Kopenhagen findet in Genf eine Folgekonferenz statt. Seither hat die Armut zugenommen und die Entwicklungshilfe wurde drastisch gekürzt. Wie es jetzt weitergeht, ist noch umstritten

aus Genf ANDREAS ZUMACH

„Die Zahl der extrem Armen soll bis 2015 um mindestens die Hälfte verrringert werden.“ So lautete die wichtigste der zehn Verpflichtungen, die Vertreter von 185 Länder, darunter 118 Staats-und Regierungschefs, im März 1995 beim UNO-Sozialgipfel in Kopenhagen vereinbarten. Doch nach Angaben der Weltbank ist die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem US-Dollar täglich auskommen müssen, allein zwischen 1996 und 1998 um drei Prozent auf 1,2 Milliarden gestiegen. Dazu kommen 1,6 Milliarden Menschen, die pro Tag weniger als zwei Dollar zur Verfügung haben.

Auch bei den anderen neun Verpflichtungen von Kopenhagen (darunter: „Anerkennung der Vollbeschäftigung als vorrangiges wirtschaftspolitisches Ziel“ und „Bereitstellung von mehr Finanzmitteln für soziale Ziele“) fällt die Bilanz wenig ermutigend aus. Zwar machten einige Länder des Südens seit 1995 laut dem Bericht von UNO-Generalsekretär Kofi Annan zur heute in Genf beginnenden Nachfolgekonferenz in Kopenhagen leichte Fortschritte bei der Bildung, der durchschnittlichen Lebenserwartung, dem Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sowie der Gleichstellung von Frauen und Männern. Diese Fortschritte bleiben allerdings hinter den zeitlichen Vorgaben des Kopenhagener Gipfels zurück. In einer Mehrheit der Länder des Südens ist seit 1995 die Last der Auslandsschulden gewachsen und sind die Sozialausgaben gesunken, konstatiert Annan.

Die Mehrheit der Staats-und Regierungschefs scheuen die Auseinandersetzung mit diesen unangenehmen Tatsachen. Von den eingeladenen 185 kommen lediglich 27 Vertreter nach Genf – darunter mit Norwegen, Luxemburg und der Schweiz lediglich drei aus dem industrialisierten Norden. Deutschland ist für knapp anderthalb der fünf Konferenztage durch die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul vertreten.

Trotz zunehmender Erkenntnis auch von Befürwortern der Globalisierung, dass diese nicht automatisch zur Überwindung sozialer Probleme führt, ist die Staatengemeinschaft von einem Konsens über die künftig erforderlichen Maßnahmen nach wie vor weit entfernt. Der Entwurf für das Abschlussdokument, das am Freitag verabschiedet werden soll, hat noch zahlreiche Klammern. Zum einen haben insbesonders die Industriestaaten des Nordens ihre Verpflichtungen von Kopenhagen kaum erfüllt. Statt der vor fünf Jahren gegebenen Versprechen, die Finanzmittel für die Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit mit den Ländern des Südens aufzustocken, haben Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten sowie die USA und Japan diese Mittel in den letzten Jahren drastisch gekürzt. Die bereits vor über 20 Jahren auf einer UNO-Konferenz gemachte Zusage der Industriestaaten, für diesen Zweck mindestens 0,7 Prozent des eigenen Bruttosozialprodukts auszugeben, erfüllen bis heute lediglich Schweden, Finnland, Dänemark, Norwegen und die Niederlande sowie neuerdings auch Irland und Portugal. Deutschland liegt nach den Kürzungen der rot-grünen Koalition bei unter 0,3,Prozent. Ob das 0,7-Prozent-Ziel im Abschlussdokument bekräftig wird, ist ebenso umstritten, wie die Forderung der Länder des Südens nach einem Schuldenerlass, der weiter geht, als die bisherigen Maßnahmen der Industriestaaten.

Auf der anderen Seite sperren sich die meisten Länder des Südens gegen die Vereinbarung konkreter arbeits-und sozialrechtlicher Standards. Sie wittern hinter diesen vor allem von den USA und der EU vertretenen Forderungen in erster Linie protektionistische Absichten.

Fortschritte wird die Genfer Konferenz möglicherweise in der Frage erbringen, ob Finanzmittel zur Bekämpfung der Armut und für andere UNO-Programme durch eine Besteuerung internationaler Finanztransaktionen (Tobinsteuer) aufgebracht werden. Die bislang strikte Ablehnungfront von EU, USA und Japan ist aufgelockert. Neben einer Reihe anderer EU-Regierungen ist jetzt auch die Berliner rot-grüne Koalition zumindest bereit, der UNO den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie zu einer solchen Steuer zu erteilen. Den Umschwung in der Haltung der Bundesregierung hatte Wieczorek-Zeul bewirkt.