Atom? Spaltung? War da was?

Weil auch viele Linke endlich aus der Debatte aussteigen wollen, kämpft nur einer im Zusammenhang mit Schröders Atomdeal – Umweltminister Trittin

aus Münster MATTHIAS URBACH

Die Stimmung ist schlecht, als sich Freitagnacht rund 80 linke Grüne nach der Abstimmungsniederlage in der Atomdebatte in einem Tagungsraum am Rande des Parteitags versammeln. Plötzlich steht ein bayrischer Delegierter auf: Er habe genug, er wolle austreten. Wer das mit ihm morgen öffentlich tun wolle, solle sich jetzt melden.

Es meldet sich keiner.

Stattdessen nehmen Freunde ihn zu Seite, überreden ihn, seine Entscheidung noch mal zu überdenken.

Also: Von Spaltung war auf dem Parteitag von Münster nichts zu spüren. Der über die Medien ausgetragene Streit zwischen Fraktionschef Rezzo Schlauch und der ausgeschiedenen Parteisprecherin Antje Radcke über eine „herbeigeredete Spaltung“ war ohne Grundlage. Hier und da meldete ein Kreisverband auf Nachfrage den ein oder anderen Austritt – das war es auch schon. Es sind einfach kaum noch Grüne übrig, die einen Parteiaustritt für einen politischen Schritt halten.

Die Abstimmung im Streit, ob man dem Atomkonsens zwischen Bundesregierung und Stromkonzernen zustimmen solle oder nicht, war vom linken Parteiflügel schon vorab verloren gegeben worden. Kein Mobilisieren in den Kreisverbänden, kein Ringen um einen machtvollen gemeinsamen Auftritt der Gegner des Atomvertrags. Kein Aufbäumen. So wie sich die Grünen als Ganzes von Kanzler Gerhard Schröder in den Atomkonsens mit der Industrie einbinden ließen, so ließ sich am Wochenende die Linke in den Parteikonsens einbinden. So wurde mit der überwältigenden Mehrheit von knapp zwei Dritteln dem Atomkonsens zugestimmt. Damit ist das letzte urgrüne Thema zu Seite geräumt, das noch in der Lage gewesen wäre, die Regierungsbeteiligung der Partei ernsthaft zu gefährden.

Viele hatten die andauernde Debatte ums Atom schon lange satt. „Das ist Nostalgie, was wir betreiben“, urteilt etwa die Bundestagsabgeordnete Christine Scheel. „Ich bin froh, dass das Thema vom Tisch ist.“ Auch linke Umweltpolitiker wie Winfried Hermann freuen sich nun auf mehr Raum für andere Ökothemen. Und selbst strikte Atomgegner wie die Linke Heidi Tischmann, Parteivorsitzende in Niedersachsen, sind froh, „dass nun ein wenig Ruhe einkehrt“. Zwar habe ihr Landesverband mit dem weiter drohenden Endlager in Gorleben und baldigen Castor-Transporten den schwarzen Peter in die Hand bekommen. Doch auch sie will jetzt nicht „gegen die Grünen mobilisieren“. Tischmann hatte die Niederlage natürlich erwartet, war aber von deren Ausmaß „deprimiert“.

Dass die Niederlage so klar ausfiel, lag nicht zuletzt am lustlosen Auftritt der Atomkonsens-Gegner. Antje Radcke, prominenteste Gegnerin, hatte sich gar nicht erst in einen der vier Anträge einbinden lassen. Die Reden der anderen prominenteren Konsensgegner blieben sachlich. Wirklich polarisierend und aufwühlend trat ironischerweise nur der ehemalige Bürgerrechtler Werner Schulz auf, der nicht einmal zu den Parteilinken gehört. Er beschwor angesichts der langen Ausstiegsfrist die Gefahr einer „Bürgerbewegung, die gegen uns demonstriert“ und brachte als einziger Redner die Zuhörer dazu, ihm stehend zu applaudieren.

Nur wenig prominente Linke meldeten sich zum Thema zu Wort. Dagegen schleppten die Befürworter alles ans Rednerpult, was Amt oder Mandat hat: neben Jürgen Trittin auch Joschka Fischer, Renate Künast, Fritz Kuhn. Hauptargument war das drohende Ende der Koalition, falls der Parteitag dem Konsens nicht zustimme. Die Gefahr bestand nicht.

Genau genommen kämpfte nur einer in der Sache: Und das war Jürgen Trittin. Er brauchte ein gutes Ergebnis. Und er wollte den Eindruck vermeiden, das Ausgehandelte tauge in Wahrheit nichts und werde nur aus Räson mitgetragen. „Warum stellen sich die Betreiber der französischen Wiederaufarbeitungsanlage Cogema hin und sagen, sie brauchten neue Geschäftsfelder?“, fragte er. „Weil das hier alles Propaganda ist?“ Der Umweltminister geriet beim Abschmettern seiner Kritiker gar derart in Erregung, dass er am Schluss heiser war.

Trittin war am Ende auch als einem der wenigen die Erleichterung über die Bestätigung des Atomkonsenses (433:227 Stimmen) anzumerken. Als das Ergebnis klar war, schritt er ans Pult und bedankte sich bei seinen Mitarbeitern und seinem Staatssekretär Rainer Baake, als habe er gerade den Oscar verliehen bekommen. „Wenn ihr mich im Februar gefragt hättet, ob wir jemals so weit kommen würden, dass wir die Verhandlungen erfolgreich abschließen – dann hätte ich das nicht geglaubt.“

Dass die Zustimmung so überzeugend war, ist freilich nicht nur das Ergebnis der Überzeugungsarbeit Trittins. Auch der Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer hat hart gearbeitet. Er verstand es, alle Landesverbände von Anfang an in die Verhandlungen zum Atomausstieg einzubeziehen. Als im Spätherbst erstmals von Fischer und Trittin der Vorschlag kam, im Dissensfall 30 Jahre Laufzeit anzustreben, waren noch 12 Landesverbände gegen diesen Vorschlag – am Ende nur noch zwei.

In Konferenzen und Einzelgesprächen waren die Landesverbände immer wieder bearbeitet worden. Zuletzt in einer Telefonkonferenz unmittelbar vor den endgültigen Verhandlungen vor zwölf Tagen. Da wurde den entscheidenden Landes- und Bundespolitikern auch bereits die mögliche Kompromisslinie vorgetragen – 32 Jahre Laufzeit. „Wäre das nicht gewesen“, urteilt ein Beteiligter, hätten sich wohl einige Prominente gegen den Atomkompromiss gestellt.

Diese Einbeziehung zeitigte Wirkung: „Wir mussten alles aus der zweiten Reihe organisieren“, ärgerte sich ein Delegierter vom linken Flügel, dem es ernst war mit der Ablehnung.

Er war in der Minderheit. Die meisten Delegierten waren mit einer festen Meinung in dieser Sache angereist. Und mit dem lang erarbeiteten innerparteilichen Konsens war auch der ganze Parteitag gelaufen. Über das Ringen um den Atomausstieg hatte die Partei zu ihrem eigenen innerparteilichen Konsens gefunden.