Grüne lieben sich doch alle

Parteitag der Bündnisgrünen in Münster wählt in großer Harmonie mit Renate Künast und Fritz Kuhn ein neues Führungsgremium und beschließt die Unterstützung des Atomkonsenses der Regierung

MÜNSTER taz ■ „Neuanfang“ war das häufigste Wort auf dem Grünen-Parteitag in Münster. Mit Renate Künast, bislang Berliner Fraktionschefin, und Fritz Kuhn, bisher Fraktionschef in Baden-Württemberg, wählte die Partei erstmals zwei Parteivorsitzende, die nicht mehr nur als „Sprecher“, sondern als Chefs gelten. Zudem kommen beide, ungewöhnlich für eine grüne Parteiführung, gut miteinander aus.

Außerdem stimmte der Parteitag mit deutlicher Zweidrittelmehrheit dem zwischen Regierung und Industrie ausgehandelten Atomkonsens zu.

Die Grünen müssten „das Gejammere beenden und die Erfolge benennen“, forderte Künast. Kuhn ergänzte, „wir sollten aufhören, die Produzenten unserer eigenen Enttäuschung zu sein“.

Die neuen Parteichefs sprachen vielen Delegierten aus dem Herzen: Der Parteitag war vom großen Wunsch nach Harmonie geprägt. Konflikte wurden tunlichst vermieden, pflichtschuldige Debatten mit vorhersagbarem Ergebnis waren die Regel. Selbst bei der Atomkonsens-Debatte überwog ein sachlicher Ton. Niemand wollte es auf einen Bruch ankommen lassen. Auch gab es – wie sonst üblich – keine stundenlangen Verzögerungen durch endlose Diskussionen. „Wir benehmen uns wie eine erwachsene Partei“, urteilte die niedersächsische Fraktionschefin Rebecca Harms. „Wenig Unkalkuliertes und viel Applaus, wenn wer Wichtiges redet.“

So gelangten auch alle wichtigen und gesetzten Funktionsträger in den 13-köpfigen Parteirat, der künftig die Strategie der Partei mitbestimmen soll. Alle drei Bundesminister wurden klar mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Dabei erhielt Außenminister Joschka Fischer, der sich noch nie einer Abstimmung auf einem Bundesparteitag hatte stellen müssen, die zweithöchste Stimmenzahl nach Gunda Röstel. Zuvor hatte sich Fischer am deutlichsten hinter den Atomkonsens gestellt: „Ich stimme zu ohne Bauchschmerzen.“

Ungewöhnlich schlecht schnitten die Parteilinken bei der Besetzung der übrigen vier Plätze im Bundesvorstand ab. In Kampfabstimmungen um die zwei letzten Plätze waren sie jeweils deutlich unterlegen. So ist mit Renate Künast nur eine Linke im Vorstand, die sich allerdings selbst nicht als Teil dieses Flügels versteht. „Ich habe die Flügelkämpfe nie verstanden“, sagte sie. Christian Ströbele bezeichnete den Bundesvorstand zwar als „sehr einseitig“ besetzt, räumte jedoch ein, dass der linke Flügel keine Erfolg versprechenden Kandidaten hatte.

Auch im Streit um den Atomkonsens hatte der linke Flügel nicht die große Kraftprobe gesucht, sondern sich bereits mit der Niederlage abgefunden. Die Debatte kreiste vor allem darum, ob man den Kompromiss denn als großen Erfolg feiern dürfe, wie Umweltminister Jürgen Trittin das tut – oder eben nicht.

Angesichts des harmonischen Parteitags wagte Renate Künast die „Vision“, „dass wir künftig auf einen Showdown zwischen den Flügeln verzichten“.

Ganz ohne Misstöne blieb das Wochenende dennoch nicht. Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Werner Schulz kritisierte gestern scharf seine Partei. Während die Bündnisgrünen „die Mär vom Atomende“ erzählten, verhandle Fischer mit der Ukraine über weitere AKWs. Mit „Joschka“ sei „die Öko-Partei zur Ego-Partei geworden“. URB/PAT

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