Qualität statt Stars

Selbst John Lennon wurde erweckt: Das Hurricane Festival war eine Indie-Rock-Werkschau  ■ Von Volker Peschel

Eigentlich ist es ja langweilig. Da versammeln sich die Rockstars aus Eng- und Amiland im beschaulichen Scheessel und es gibt keine Skandale. Hinterließen in den letzten Jahren Rammstein verbrannte Erde und MTV-Journalisten und Mari1yn Man5on bespuckte Fotografen, blieben dieses Jahr die kleinen Rand-Anekdoten und verwüs-teten Band-Container aus. „Es gibt keine Geschichten, uns ist fast langweilig geworden. Ein Zelt hat Feuer gefangen, aber selbst das hat der Regen gelöscht.“, resümiert Elke Ulferts vom Veranstalter Scorpio.

Keine Langeweile kam bei den jugendlichen Rock-Fans auf, da das Wetter eindrucksvoll demons-trierte, was unter „wechselhaft“ zu verstehen ist. Ein Großteil reiste bereits am Freitagnachmittag staufrei an, um gleich in der ersten Nacht in den Aldi-Iglos unterzugehen. Entsprechend laut das Gefluche am Morgen. Nur 35.000 fühlten sich vom „Hurricane“ dieses Jahr angezogen. Zu übermächig war sicher das motzige Programm des Konkurrenten „Rock am Ring“, zu dick die Wolken für Tagesbesucher. Und dabei war es ein gutes Festival mit sehr selbstbewusstem Line-Up. Mehr als in anderen Jahren wurde auf die großen Stars verzichtet, dafür gab es ein fast durchgängig hervorragendes Programm und einiges zu erkunden.

„Das Publikum hier ist ungewohnt neugierig. Es ist selten, dass Leute wirklich zuhören.“, freut sich Sandy Dillon über ein gut gefülltes Zelt am Sonntag mittag. Laut verkündete ihr Organ die morbiden Liebesgeschichten ihres Debut-Albums „Electric Chair“. Ein exzentrischer Auftritt zu großem Songwriting. „Jedes gut geschriebene Lied lässt sich auf einer Dose Guinness spielen.“ So einfach ist das. Weitere „Geheimtips“ gab es im Zelt. Gomez mit sprödem Rock, aber auch große Stimmen: der Edel-Pop von Emiliana Torrini und die dänische Gry.

Altbekannte Festival-Größen waren erneut am Start, lieferten aber auch Überraschungen: Bush als perfekter Abschluss am Sonntag. Wirkten sie 1999 zu früherer Uhrzeit noch etwas müde, gab Gavin Rossdale diesmal alles. Zu „Everything Zen“ ließ er sich durchs Publikum tragen, anschließend erklomm er die Strickleiter hinauf auf die Boxen-Türme. Fast schon zum Inventar am Eichenring zählen Skunk Anansie. Front-Derwisch Skin brachte Maxim von The Prodigy mit, schaute neugierig Kollegin Macy Gray zu. Ville Valo von HIM schreitet großmütig den Bühnenrand ab. Ein wenig Arschwackeln gegen mangelnde Substanz. Über eine volle Stunde geht ihnen spürbar die Luft aus. Überhaupt kein Problem für Glatzkopf Ed von Live. Sie gehören im wahrsten Sinne des Wortes zu den besten live-Rockacts, ließen es gewaltig krachen. Bis sich zur Zugabe „Imagine“ von Peace-Beatle Lennon alle freudetrunken in den Armen lagen.

Müde hingegen der Auftritt vom geschmacksfrei gekleideten Sven Regener und seinen Element of Crime, die nur zu gut die allgemeine Erschöpfung am Sonntag in Lieder fassten. Überlebt haben sich wohl auch Therapy?. Ganz groß war Moby: „Dieses Lied ist für alle, die schon mal bis neun Uhr morgens auf einem Feld getanzt haben.“ Feeling so real. Moby hat gerockt. Gelassener geht es beim Gentleman zu, dicke Rauch-Schwaden begleiten seinen Ethno-Rap. „Good vibration for da world.“ Alle haben sich lieb und tanzen in die Nacht. Und natürlich für den Weltfrieden. Durch die Tage führte Moderatoren-Legende Alan Bangs. Durch zwei schöne Tage.