Rote Karte für den Theaterbesuch

■ Das „WestEnd-Theater“ lud zum Spaziergang durch den windigen Bremer Überseehafen ein. Vor den Augen der Bremer Touristik Zentrale spukten Geister und kämpften Matrosen um ihren Lohn und eine längere Mittagspause

Eine seltsame Eintrittskarte war das. Die BesucherInnen der vom „WestEnd-Theater“ inszenierten Performance „Verschütt – was nu?“ am Sonntagabend bekamen bunte Pappkartons in die Hand gedrückt. Einfach gelbe und rote Karten ohne jeden Aufdruck. Wie die SchiedsrichterInnen warteten sie dann vor dem Gelände des Überseehafens auf Einlass.

Als der gewährt wurde, musste das Publikum erst durch die Unterführung am Waller Stieg laufen, um auf den Spielort zu gelangen. Und dort, neben dem alten Zollamt Holzhafen wurde das Rätsel der leeren bunten Karten gelöst. „Schön, dass Sie gekommen sind, na dann kann die Führung ja gleich beginnen“, grüßten adrett gekleidete Damen, angeblich von der Bremer Touristik Zentrale: „Die Herrschaften mit den roten Karten bitte mir folgen, die Herrschaften mit den gelben...“ Und ehe man sich's versah, war man TouristIn. Auf diesem Teil des Hafens werden diese und jene Güter gehandelt, da und da sei das und das bemerkenswert, quasselte die jeweils zugeordnete Führerin – bis der Geist eines Matrosen kam. „Schluss jetzt!“, rief er vom Balkon des Zollamtes herunter, „Es ist vorbei! Das ist kein Hafen mehr!“ Flugs kletterte er zum Publikum hinab und übernahm das Kommando: „Ich zeig' Ihnen was! Folgen Sie mir!“

Auf diese Weise wurde man nun durch das stillgelegte Hafengelände geführt. Mal war man Augenzeuge eines Arbeitskampfes der Matrosen, mal wurde man Opfer von orientalischen Händlern, die ihre Ware anboten. Die gesamte Geschichte des Bremer Überseehafens wurde aufgerollt.

Mit viel Fantasie gelang es der Intendantin Astrid Müller, die düstere Gegend ein wenig zu beleben. Da tauchten auf der anderen Seite des Hafenbeckens urplötzlich Gestalten auf, die ein Matrosenleben vergangener Zeiten nachspielten. Und in einer alten Halle erlebte man einen echten Arbeitskampf – mit roten Fahnen, feurigen Reden und allem, was dazu gehört.

Leider fand Müller offensichtlich nicht den Mut zum Kürzen. Spätestens nach der dritten Arbeitskampfrede schwand das Interesse der ZuschauerInnen. Da ging es unter anderem um die Frage, ob die Hafenbeschäftigten eine Frühstückspause oder vielleicht doch lieber eine längere Mittagspause bevorzugten. Auch die Komik hätte wohl mehr Wirkung erzielen können, wenn sie knapperen und pointierteren Charakters gewesen wäre.

Vielleicht sind die Längen aber mit der Masse an AkteurInnen zu entschuldigen, die es in das Werk zu integrieren galt. Schließlich soll an dem Projekt für LaienschauspielerInnen mitmachen dürfen, wer Lust hat. So wirkten neben einer sechsköpfigen Band ganze 20 DarstellerInnen jeden Alters an dem Spektakel mit. Wenn da jeder zum Zuge kommen soll, müssen freilich Kompromisse in der Inszenierung eingegangen werden. Aus diesem Grund konnte es auch keine echte Hauptfigur geben. Vor der Figurenmasse musste sogar das Programmheft kapitulieren, das auf eine Rollenangabe der einzelnen SchauspielerInnen verzichtete.

Die zweistündige „Hafenbesichtigung“ endete im alten Zollamt Holzhafen, das heute die Feuerwehr beherbergt. Und das war gleich aus zwei Gründen gut: Zum einen war es da warm. Und zum anderen gab es was zu trinken. Beides hatte man nach der langen Wanderung bei kaltem Wind nötig.

Johannes Bruggaier