kikkerballen
: Fußball gucken im OBI-Wahn

Sado-Pasta vor dem Spiel

Im Stapel mit der Redaktionspost lag ein gefaxter Artikel aus der Badischen Zeitung. „Vereinzeltes Stöhnen“ stand in der Überschrift, gemeint war ein „De-Sade-Lesemarathon“, wo es viel um „Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterwerfung“ ging. De Sade selbst wollte übrigens, dass seine „Philosophie im Boudoir“ von Schauspielern und Schauspielerinnen vorgetragen werden sollte, die sich während des Vortrags ununterbrochen selbst befriedigen.

De Sade haben die deutschen Spieler ganz sicher nicht gelesen, um sich abends nach dem Training noch ein bisschen in Sachen Herrschaft und Unterwerfung mental auf den nächsten Gegner vorzubereiten. Gleichwohl haben die Anweisungen des Marquis de Ribbeck dazu geführt, dass eine ganze Menge Menschen vor den Fernsehgeräten ziemlich gequält worden sind. Bei den Nachbarn wurde jedenfalls ständig gestöhnt. Auch der Reporter Bela Rethy sah nach dem Spiel gegen Portugal sehr derangiert aus und wollte mehr. Sogar Ribbeck hatte beim Abschiedsinterview diesen postorgasmischen, babyweichen Blick. Und Berti Vogts sieht zehn Jahre Leid auf den deutschen Fußball zukommen, weshalb er sofort wieder Trainer werden will.

Jetzt ist die Kabine allerdings leer. Der Sponsor, heißt es, hätte sich nicht mit den Fußballverantwortlichen einigen können. Nun bleibt das Team im Werbeclip zum Handy-Fax-Laptop-Gewinnspiel abwesend. Nur ein einsamer Ball rollt über den Boden, und man fragt sich: Wer hat den da langgekickt?

Jedenfalls ist es schön, zu sehen, wie einfach man die deutsche Mannschaft ersetzen kann. Statt Matthäus, der Wosz lustig auf den Popo klopft, liegen nur noch ein paar DFB-Trikots herum. Das Image stimmt, nur die Fußballer sind falsch. Offenbar fällt den Sponsoren die Konzentration auf das Wesentliche viel leichter als den Fans. So war das schon bei Bjarne Riis – einmal vom Rad geplumpst und, schwupps, durfte Jan Ullrich als Zugpferd für Mobiltelefone antreten. Nur Manfred Krugs Job ist noch sicher.

Als Konsument hingegen hat man nach zwei Wochen Fernsehen besonders den Biber von OBI lieb gewonnen, der vor den Spielen immer so lässig das Ball-O mit seinem Schwanz wegspitzelt. Wer bislang einfach bloß Fußball gucken mochte, wird nach dieser EM vielleicht auf Holzschnitzarbeiten und Hobbykellerdekoration umschwenken. Da gibt es immer was zu nageln, zu dübeln, zu schleifen. Gern möchte man deshalb auch wissen, wer in anderen Ländern die Spiele im Fernsehen präsentiert. Schleckt die französische Mannschaft erst mal einen Danone-Jogurt weg, bevor es live auf den Platz geht? Hauen sich die Italiener Pasta in den Magen? Und was zur Hölle kann man in Portugal mit Fußball verkaufen – außer Euro 2004?

Nur die Niederländer brauchen diesen niederen Nationenmarketing-Tand nicht. Die haben stattdessen Patrick Kluivert, der schießt vier Tore, wenn man ihn nicht deckt, und danach hopst er gleich schon wieder für adidas zu Reggaemusik mit dem Ball zwischen Kindern, Rentnern und irgendwelchen Touristen in Brüssel herum. Das nennt man Bevölkerungsverständigung. Edgar Davids hat dagegen bei Nike angeheuert und darf nun im internationalen Allstar-Team Fußbälle aus einem fiesen Zombie-Stadion befreien, das Mussolini seinerzeit hat bauen lassen. Davids und Kluivert sind prima Antifaschisten. Die sollen Europameister werden.

Zinedine Zidane ist aber auch prima, der schaut immer sehr melancholisch, wenn er gefoult worden ist. Außerdem haben Mönche sonst nirgendwo mehr Chancen in einer unbeseelten, rationalen, technologisch entfremdeten Welt. Der soll also auch Europameister werden. Und Figo soll auch Europameister werden, vielleicht ersetzt er dann Oliver Bierhoff im Frisiersalon – obwohl es dann heißen müsste: Luis Filipe Figo Madeira Caeiro nimmt nur Wella-Shampoo für sein Haar. Allein schon deswegen soll er Europameister werden. HARALD FRICKE