Das Enfant terrible

Holland hat sich mit seinem Fußballstar wieder versöhnt. Nicht nur wegen der sensationellen EM-Tore: Kluivert scheint erwachsen zu werden

Mit seiner gespielten tiefen Verbeugung artikulierte Hollands Torhüter Edwin van der Sar die Gefühle einer ganzen Fußballnation. Patrick Kluivert, der dreifache Torschütze im EM-Viertelfinalspiel gegen Jugoslawien (6:1), hatte mit seinem Auftritt am Sonntagabend in Rotterdam bei Millionen holländischer Fußballfans erreicht, was dem Ausnahmefußballer in den knapp sechs Jahren seiner internationalen Karriere bislang verwehrt geblieben war: Sie bewundern ihn nicht nur als „größtes Talent“ seit Johan Cruijff, Ruud Gullit oder Marco van Basten, sie respektieren ihn jetzt auch.

Nach der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich, bei der sich der schwierige Jungstar wie so oft im Verein zu Tätlichkeiten hatte hinreißen lassen und die rote Karte sah, fanden Hollands Fußballfans, ein solch charakterschwacher Kicker habe in der Nationalauswahl nichts zu suchen. „Kluivert ist eine Sexmaschine, Kluivert ist ein Mörder“, skandierten Stadionbesucher, wo immer in Europa der talentierte Mittelstürmer den Rasen betrat. Kluivert, der bereits als Neunjähriger zu Ajax Amsterdam gekommen war und mit 17 seit Debüt in der Champions League gab, hatte im Herbst 1997 nicht nur einen Autounfall verursacht, bei dem ein Mann ums Leben kam, sondern wenige Monate später mit drei Freunden angeblich auch noch eine junge Frau vergewaltigt. In beiden Fällen ist der so früh erfolgverwöhnte Jungmillionär Kluivert, der 1996 zu AC Milan und 1997 zum FC Barcelona wechselte, nie zur Verantwortung gezogen worden.

Die drei sehenswerten Tore gegen Jugoslawien (das vermeintliche vierte erkannte ihm die Uefa gestern wieder ab) haben die Holländer mit ihrem Enfant terrible versöhnt. Und dies nicht nur, weil er auf dem Weg ist, mit seinen nun fünfTreffern der erfolgreichste Torschütze des Turniers zu werden. Weltweit hoffen die Fans, bisher seit Jahren vergeblich, dass ihr Star nicht nur als Fußballer, sondern auch als Mensch reift. Kamen Schiedsrichterbeleidigungen und unbeherrschte Ausfälle gegen gegnerische Spieler noch in der vergangenen Saison beim FC Barcelona wiederholt vor, stellt Ronald de Boer, Teamkollege beim FC Barcelona und in Hollands Nationalelf, jetzt fest: „Patrick war in den Spielen seit den roten Karten fantastisch und ohne diese dummen Ausfälle. Es scheint, als würde er erwachsen.“

Einer der weltbesten Fußballer ist er schon heute, womöglich sogar der beste. Weil er ein kompletter Spieler ist, mit enormer technischer Begabung, hartem Einsatz, raffiniertem Kombinationsspiel. Und er trifft – ein ums andere Mal. HENK RAIJER