Offenes Geheimnis

Der Vatikan lüftet die dritte Weissagung von Fatima und lässt sich und dem Papst alle Möglichkeiten offen

ROM taz ■ Aufgeregt saß die Journalistenschar gestern Mittag im großen Saal des Vatikan-Pressezentrums. Es war ja auch nicht weniger versprochen als die Enthüllung des dritten Geheimnisses von Fatima, jener Offenbarung, die die Madonna 1917 drei portugiesischen Hirtenkindern gemacht hatte. Seit Jahrzehnten ranken sich die tollsten Spekulationen um ihren Inhalt: Weltuntergänge, Atomkriege, Papstattentate sollten da vorhergesagt sein.

Kaum aber traten Vatikansprecher Joaquin Navarro Valls und Kardinal Ratzinger gestern vor die Presse, da war die Luft schon raus. Die Offenbarung von Fatima sei ja „weitgehend bekannt“, hob Navarro Valls an, es fehle „bloß“ der dritte Teil. Und Ratzinger legte noch eins drauf. Wer den Text des dritten Geheimnisses aufmerksam lese, werde wahrscheinlich enttäuscht sein; dort werde „kein großes Mysterium enthüllt“ und „der Schleier der Zukunft“ werde auch nicht gelüftet.

Bleibt noch die Vergangenheit. War es nun die Prophezeiung des Papstattentats? Im von Schwester Lucia – sie als einzige der drei von Maria Erleuchteten überlebte die Kindheit – 1944 aufgesetzten Text marschiert ein „weiß gekleideter Bischof“ einen Berg hinauf, begleitet von anderen Bischöfen und Ordensleuten. Die Prozession durchquert eine zerstörte Stadt mit Bergen von Leichen, der „Heilige Vater“ – das passt ganz gut – bewegt sich „halb zitternd mit wankendem Schritt, von Schmerz und Sorge gedrückt“. Auf dem Gipfel des Berges kniet er vor einem Kreuz nieder und wird sogleich „von einer Gruppe von Soldaten getötet, die mit Feuerwaffen und Pfeilen auf ihn schossen“. Knapp daneben also die Prophezeiung – anders als im wirklichen Leben ist das Attentat gelungen.

Entsprechend vorsichtig war denn auch Kardinal Ratzinger in seiner theologischen Ausdeutung. Im dritten Geheimnis sei ganz allgemein die Rede vom Martyrium der Kirche im 20. Jahrhundert. Wer glauben möchte, dass die Madonna vom Anschlag auf Johannes Paul gesprochen hat, mag das gern tun, meint Ratzinger. „Musste der Heilige Vater, als er sich nach dem Attentat vom 13. Mai 1981 den Text des dritten Geheimnisses vorlegen ließ, darin nicht sein eigenes Geschick erkennen?“, fragt Ratzinger voller List in seiner Interpretation, erspart sich aber eine kirchenoffizielle Bestätigung dieser Ausdeutung. So entzaubert die Kirche das dritte Geheimnis und lässt doch dem betagten Fatima-Verehrer an ihrer Spitze seinen Glauben.

MICHAEL BRAUN