Theater im Container

Das ist praktisch und trendy: Die Volksbühne hat den Container als Spielort entdeckt und rollt von der Expo in Hannover zum Prater in Prenzlauer Berg

von KATJA GEULEN

In diesen modernen Zeiten, in denen die Worte „Mobilität“ und „Flexibilität“ zu Zauberformeln mutiert sind, liegt die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz beim Konzepteentwerfen mal wieder ganz vorn. Wenn sich ihre großen Utopien manchmal auch nur als dramaturgische oder pressetextliche Spitzfindigkeiten herausgestellt haben, klingt diese „Innovation“ doch zumindest recht lustig: In vier Containern soll die Zukunft des Aufklärungstheaters liegen.

Warum? Ganz einfach: Wenn bald alle Theater aus Geldmangel geschlossen sein werden, muss man die bühnenlos gewordenen Schauspieler ja irgendwo unterbringen. Mit den Möglichkeiten des fahrenden Container-Theaters ergeben sich weitere praktische Vorteile, zum Beispiel könnte die örtliche wie programmatische Abhängigkeit vom Rosa-Luxemburg-Platz ein Ende finden. Und man könnte in Hellersdorf und Novi Sad das Volk bespielen – und das alles ohne viel technischen Aufwand.

Dieser Traum war auch der Ausgangspunkt für den Bühnenbildner Bert Neumann und die frühere Intendantin der Hamburger Kampnagel-Fabrik, Hannah Hurtzig, auf deren Idee dieses Wander-Schauspiels beruht. Neumann entwarf die Container-Wagen, die eher Ähnlichkeit mit Jahrmarktbuden als mit „Big Brother“ oder Schlingensiefs Abschiebehaftanstalt haben, und die den Rahmen für die ganze Inszenierung bilden. Hurtzigs Job besteht darin, die Behälter mit Inhalt zu füllen.

Das Konzept ist einfach, und die Regeln sind klar festgelegt: Jeder Wagen ist mit einer Gruppe von Darstellern, einem autarken Ton- und Lichtsystem und einer fünfzehnminütigen Inszenierung ausgestattet. Alle vier Bühnen im Zusammenhang ergeben die Aufführung. Die Probezeit soll fünf Tage nicht unter- und eine Woche nicht überschreiten, die Grundbeleuchtung sind simple Leuchtstoffröhren, die Spieler tragen Einheitskleidung, und die Texte sollen dokumentarisch sein. Die Form der Darstellung ist frei – vom wissenschaftlichen Vortrag bis zum Ballett.

Die vier Bühnen passen in einen LKW-Container und die nötige Technik in einen zweiten auf dem Anhänger. Der Aufbau dauert mit sechs Bühnenarbeitern drei Stunden. Hieraus folgt die Möglichkeit eines „Hit and Run“-Prinzips: Auftauchen, Abliefern, Abreisen. Die erste Lieferung mit dem Titel „Nachtgrauen und Aufklärung“ hat die Schaustellertruppe, unterwegs mit einer Volksbühnen-Starbesetzung, in der vergangenen Woche auf der Weltausstellung in Hannover abgegeben. Dort, im kahlen Vortragssaal des deutschen Pavillons, wurde das Heidepark-Soltau-Ausflügler-Publikum nach dem Motto „Kein Entertainment“ greifnah unterhalten und aufgeklärt, wie es keine Fernsehshow bieten kann. Matthias Matschkes Spiegelkabinett gab die Chance zum antiken „Erkenne dich selbst“, Sebastian Hartmanns Gruselbude zeigte das alltägliche Grauen von Grillpartys, und Jochen Rollers „Mobile Völkerschau“ tanzte die auf der Expo vertretene Artenvielfalt der Spezies Mensch. Für die nötige Sinnlichkeit und Duft-Atmosphäre wurde der (echte) Kantinenkoch mitgenommen, der am shakespeareerprobten E-Herd für alle eine Suppe kochte.

Hannover ist übrigens auch der Grund dafür, dass die Schau überhaupt ins Rollen kommen konnte. Es stand nämlich plötzlich einfach so Geld zur Verfügung – ein Fall, der in der Volksbühne sonst selten bis nie eintritt. Während beim Streit um die versprochenen und nicht vorhandenen Senatsgelder noch keine Lösung in Sicht zu sein scheint und während auch die Expo kurz vor der Pleite gewähnt wird, hatte der Kulturbeauftragte des deutschen Pavillons Geld anzubieten, um ein bisschen repräsentative Hauptstadtkultur in die Provinz zu locken.

Und das haben die Castorfisten wirklich geschickt eingefädelt: Statt eine laufende Produktion als Gastspiel loszuschicken, verwendeten sie den Etat für diese Installation, die mehr als nur zwei Tage Volksaufklärung auf der Hannoveraner Weltmesse ist, nämlich die Basis für längerfristige Projekte. Zum Beispiel wird die „Forschungsgruppe Glühlampe“ jetzt ihre Arbeit aufnehmen und sich mit der gesellschaftlichen, ästhetischen und produktionsgeschichtlichen Relevanz der schön leuchtenden Glaskolben befassen.

Für die kommende Spielzeit hat die Schauspiel-Spediteurin Hurtzig auch schon hehre Pläne. Von „Bemühungen eines Arbeitertheaters nach Benno Besson. Ein Programm für die Randbezirke“ bis zu „Wandernde internationale Akademie, ein mobiles theaterliches Forschungsinstitut, europaweit“ heißen die geplanten Aktionen des Containertheaters. Das klingt nach Traditionspflege. Ob die Aufarbeitung Bessons allerdings tatsächlich so weit führt, dass wieder Arbeiter auf der Bühne stehen werden, ist zweifelhaft. Erstens sind (echte) Proletarier schwer zu finden, und zweitens handelt es sich hier wohl mehr um eine Spurensuche, nicht zuletzt in der hauseigenen Vergangenheit. Benno Besson hatte in den Siebzigerjahren in (später) Anlehnung an den Bitterfelder Weg (Arbeiter machen Kunst) mit Arbeitern des Glühlampenkombinats Narva Brecht inszeniert. Heute geht es aber doch zumindest noch darum, dem so genannten „neuen politischen Theater“ etwas entgegenzusetzen, das eben kein Wirklichkeitskitsch ist, sondern reale, dokumentarische, theoretische Momente enthält und herstellt. Und vielleicht auch ein anderes Publikum erreicht als die normalen Theaterbeflissenen. Hier lässt sich schon eher eine Ähnlichkeit zu Schlingensief erkennen, was zeigt, dass es trotzt Meinungsverschiedenheiten und sicher auch eitlen Machtkämpfen, von denen hin und wieder gemunkelt wird, doch einen volksbühneninternen Konsens darüber gibt, was nötig, wichtig und die Aufgabe dieses Hauses ist.

Wer sich proletarisch oder künstlerisch genug glaubt, kann sich bei der Volksbühne zum Bespielen eines der Container bewerben. Wer lieber erst mal nur gucken will: die „Erste Lieferung der Rollenden-Road-Schau“ am Freitag, 30. Juni, und Samstag, 1. Juli, um 20 Uhr im Prater, Kastanienallee 7–9, Berlin-Prenzlauer Berg