Holzkisten durch die Gegend kicken

Pauline Oliveros und das Ensemble Zwischentöne erzählten in der Parochialkirche von den Geräuschen des Alltags

Gäbe es das TV-Quiz „Familienduell“ in einer Ausgabe für musikalisch Halbgebildete und lautete der vorgegebene Begriff „Pauline Oliveros“, dann wäre „Om“ eine viel versprechende Antwort.

Die 1932 in Texas geborene Komponistin und Akkordeonistin gilt heute neben Meredith Monk als Leitfigur einer musikalischen Ästhetik, die sich entlang den Koordinaten Spiritualismus und Feminismus angesiedelt hat. „Sonic Meditations“ oder „Deep Listening“ heißen die meditativ und ganzheitlich konzipierten Werke, die Pauline Oliveros der männlich dominierten europäischen Konzerttradition entgegenhält.

Seit den 60er-Jahren verwendet sie dazu ausschließlich Verbalpartituren, die auf die traditionelle Notenschrift verzichten und den Ausführenden stattdessen großzügig Freiheiten einräumen. Es konnte am Dienstagabend in der Parochialkirche also kaum überraschen, dass man den gesamten Partiturtext von „Sound Pieces“ aus dem Jahr 1998 auf einer halben Seite des Programmheftes abgedruckt fand. Und die tunichtgute Unbestimmtheit der Partitur, die von den Klängen verlangte, dass sie „kürzer oder länger, leiser oder lauter, einfach oder komplex“ sein mögen, konnte die Erwartungshaltung nur betonieren.

Erst mit den ersten konzertanten Aktionen wurde deutlich, dass man in der folgenden Stunde etwas anderes zu erwarten hatte als Klang gewordene Spiritualität. Denn unter der unvermeidlichen Inkonsistenz neun autark agierender Musiker entwickelte sich „Sound Piece“ zu einer heterogenen, gelegentlich durchaus zähen Klangcollage.

Im Mittelpunkt standen dabei die small sounds, die kleinen Geräusche, die der Alltag abstrahlt und die oft unbemerkt an uns vorüberschallen: das Rascheln einer Plastikfolie, das Klicken einer Blechdose oder das verhaltene Knacken eines gespaltenen Holzstücks. Nur selten entfalteten sich dabei kommunikative Strukturen. Der einsilbige Dialog über Trauer und Wehmut etwa, in den sich Posaune und Akkordeon zu verstricken versprachen, dauerte am Ende nur wenige Sekunden. Meist zogen einzelne Klangquellen die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich dominant in den Vordergrund spielten.

Die teuer verkabelte Gitarre etwa verströmte wundervoll dubbige Effekte, spielte die Wucht der elektrischen Verstärkung aber auch kaltblütig aus. Im Gegensatz zu den langatmigen und spannungsreichen Bögen, die frühere Werke von Oliveros auszeichneten, kamen hier Gesten zum Tragen, die dem Klischee einer friedfertigen und sinnlichen weiblichen Musikkultur zuwiderlaufen: Nervosität und Bedrohlichkeit gehören ebenso dazu wie die latente Aggressivität, die das schnoddrige Herumtreten von Holzkisten verbreitete.

Am schwersten auf dieser Aufführung aber lastete die vermeintliche Willkür, die auf musikalische Argumente wie Zyklus oder Linearität verzichtete. Dass der Applaus schließlich zu früh einsetzte, noch während der Kontrabass einige verwischte Streichgeräusche von sich gab, zeugt von der Irritation und der Unsicherheit, die Oliveros und das Ensemble Zwischentöne an diesem Abend entfesselten.

BJÖRN GOTTSTEIN