Gefühle wieder geordnet

Vaalsbröckchen 7 (und Schluss): „Ganz Vaals ist am Weinen“, jedoch nicht über die vorzeitige Abreise des deutschen Teams, sondern über lästige Begleiterscheinungen des Kurzbesuchs der „DFB-Bobos“

aus Vaals BERND MÜLLENDER

„Wir heißen DEUTSCHLAND, weil man auch unter diesem Namen Spaß am Fußball haben kann.“

(Deutschland ist eine Freizeitelf aus Stolberg bei Aachen)

Senioren schlendern durch die milde Mittagssonne. Es riecht nach Dung und Sommer. Die Schilder „gestremd“, also gesperrt, sind weggesperrt. Die Kuhwiese als Parkplatz gehört wieder den Originalbenutzern. Der schöne Schlosspark ist wieder geöffnet. Im Teich haben Karpfen, Enten und die schwarzen Schwäne wieder ihre Nachtruhe vor Anton aus Tirol und den Profis, die nicht wollten. Kinder werfen Brotkrumen. Opa lacht.

Eine Woche nach der überstürzten Flucht des anderen Deutschland ist die Idylle von Schloss Vaalsbroek wieder eine. Nur 20 leer geräumte ARD/ZDF-Container stehen noch hässlich nüchtern neben dem alten Gemäuer. Wie eine beleidigte Trutzburg, dass sie so plötzlich nicht mehr gebraucht wurden. Falsche Logistik.

Die Vaalser Bürgermeisterin Monique Quint hat ihren emotionalen Zwiespalt schneller ordnen können als gedacht. In wunderbarer Offenheit hatte sie bei der Begrüßung des DFB-Teams von „diesem Doppelgefühl“ gesprochen: „Einerseits hoffen die Vaalser natürlich, dass die Deutschen bald wieder weg sind; andererseits sind sie wirtschaftlich daran interessiert, dass sie lange bleiben.“

Im Hotel heißt es, die Deutschen seien sehr freundlich und locker gewesen, keine verbissenen Moffen. Hotelmanager Lex Nijenhuis spricht von einem „Verhältnis zu den Deutschen wie zu Bruder und Schwester“. Nur dass schon vor dem Portugal-Spiel „alle die Koffer fertig gepackt hatten, dass man nicht mehr durch die Türen kam“, habe ihn gewundert. „Da war so ein Streit im Team. Gestern habe ich noch mit einem DFB-Offiziellen telefoniert: Die glauben jetzt selbst, dass der Kahn den zweiten Ball absichtlich durchgelassen hat.“

Besondere Extravaganzen hat es bei den Fußballurlaubern nicht gegeben; nur Matthäus, erzählt der Koch, habe „jeden Morgen sein frisches Stangenbrot“ verlangt. Keiner hat die Bettpfosten vor Verzweiflung angeknabbert. Längst wohnen andere, Einheimische auch, in Sir Erichs Suite und duschen in Babbels Bad. Die Nachfrage nach „deutschen Zimmern“, sagt der Hotelmanager, sei „ziemlich groß“. Gute PR.

Auf dem Trainingsplatz des SV Lemirsia ist das Schild „Kleedlokalen“ (für Umkleidekabine) wieder aufgestellt. Die oliven Sichtschutzplanen flattern noch zerfleddert im Wind. Die neuen Leichtalutore liegen umgekippt auf dem Nebenplatz. Und nach der Sommerpause dürfen auch die vertriebenen Lemirsia-Kicker erstmals seit Anfang April wieder trainieren. Auf aufwendig renovierten Rasenflächen. Das ist schön.

„Ein totaler Flop“

Weniger schön fand Gerda Klein „das ganze Theater“. Sie führt am Platz die kleine Kantine, die sie mit viel Engagement und landeseigenen Spezialitäten („Broodje gezond“) zu einer etwas größeren machen wollte. „Ein totaler Flop war das. Wir haben viel eingekauft und sind auf allem sitzen geblieben, weil ja keiner auf die Anlage durfte. Die Leute mit den Kindern standen vor den Absperrungen. Wir waren selbst wie eingesperrt und mussten auch noch mit aufpassen, dass keiner rein kommt. Absurd.“

Gerda Klein ist mit ihrem Ärger nicht allein: „Ganz Vaals ist am Weinen.“ Weil nicht nur ihr Platz abgeriegelt war, sondern an der Grenze der ganze Ort. Wegen der nervenden Kontrollen seien „sogar weniger Deutsche hier gewesen als sonst.“ Tatsächlich murren die Einzelhändler. 5.000 Tagestouristen hatte man naiverweise erwartet. Die Umsätze blieben überall mau. Gerda Klein ist jedenfalls „froh, dass alle wieder weg sind. Lieber Bunte Liga als diese DFB-Bobos.“ Nächste Woche spielen Partisan Eifelstraße und Aphrodisiaka Aachentina wieder in Lemiers.

Manche hat das andere Deutschland mehr erstaunt als verärgert. Etwa Christian (20). Zusammen mit Onkel Uli (42) war er Hilfswächter des Clubs rund um den Trainingsplatz. Aufpassen, dass Geheimtraining auch geheim bleibt. Christian wollte etwas lernen bei den großen Stars über Trainingslehre und -methodik. Darin hatte er nämlich gerade sein Sportabitur gemacht.

Im O-Ton klingen die Beobachtungen der beiden so: „Das Training war eine Farce von vorne bis hinten. So was Lasches, unglaublich. Immer nur Trainingsspielchen mit Ribbeck als Schiedsrichter, der dabei mit Armen auf dem Rücken die Außenlinie auf und ab stolzierte. Die Abseitspfiffe willkürlich. Dann schrie der Bierhoff gern: ‚Du Arsch.‘ Und wenn mal zwei Pässe ankamen, rief Ribbeck: ‚Das ist Fußball. Ja, das ist Fußball.‘“ Die einzigen, die sich bemüht hätten, seien Rink, Bode und Deisler gewesen. Christian: „Taktische Übungen, Spielsysteme? Wir haben im Abi mehr gelernt.“

Am lächerlichsten sei gewesen, dass Ribbeck dann in der Pressekonferenz vom „besonders harten Training“ erzählt habe. Ein bisschen gelauscht haben die beiden auch. „Wie Matthäus dem Ribbeck die Aufstellung zugeflüstert hat. Also dann spielen wir so: Hinten Rehmer und Linke, dann ...“ Keiner, sagt Uli, habe „Respekt vor dem Ribbeck gehabt, den nahm keiner ernst.“ Von den 12 gebuchten Trainingseinheiten bis zum Ende der Vorrunde haben übrigens 6 stattgefunden. „Dauernd wurde mir kurzfristig abgesagt“, sagt Christian.

Noch ein paar Fahnen

Das Städtchen Vaals wirkt, als habe es die deutsche Invasion nie gegeben. Ein paar deutsche Höflichkeitsfahnen hängen noch; Farbtupfer im monochromen Oranje. Eine historische Ausstellung über den deutschen Fußball, verteilt auf acht Schaufenster der Haupteinkaufsstraße, ist gestern vorzeitig zusammengeräumt worden. „So gut wie keine Resonanz“, sagt der Mann im Verkehrsverein VVV. Bedauern? Nein. Der Vaalswerber ist überzeugt, dass „auf unserer Gemeinde kein Schandfleck bleibt durch das Verhalten der Deutschen. Das ist allein deren Problem.“

Ein Ausstellungsteil ist nicht weggeräumt worden. Das über den DFB im Faschismus. Der wurde gleich zu Beginn im Keller des Gemeindehauses versteckt. Vorsorglich. Man habe halt „nicht provozieren wollen“.

Zitat:„Das Training war eine Farce von vorne bis hinten. Immer nur Trainingsspielchen mit Ribbeck als Schiedsrichter.“